Ja, ich könnte es mir leicht machen, all die orientalischen Orte beschreiben, die wir besucht haben und schwärmen von der Gastfreundschaft der Iraner, die in keinem Reisebericht fehlen darf. Aber ich tue mich schwer – und das nicht erst seit uns die Nachrichten von „drinnen“ erreichen, dass die Regierung auf ihre eigenen Bürger schießen lässt. Der Iran ist komplex und – so finde ich zumindest – in einer Individualreise von 5 Wochen kratzen wir gerade einmal an seiner Oberfläche. Natürlich betrachten wir die aktuelle Situation mit Sorge, aber vielleicht liegt in der aufkeimenden Rebellion auch eine Chance. Denn es brodelt, das bekommen wir in zahlreichen Gesprächen hinter vorgehaltener Hand hautnah mit. Die Iraner haben genug davon als Terroristen abgestempelt zu werden, genug von der Führungselite die zwar den Koran beherrscht, aber von Wirtschaftsökonomie keinen Schimmer hat. Und schließlich auch genug davon heute nicht zu wissen, ob es morgen noch Benzin gibt und was sie sich für ihr inflationsgebeuteltes Geld noch leisten können.
Und so schwingt – obwohl die Iraner so sehr darum bemüht sind von Gästen als das wahrgenommen zu werden was sie sind: fröhliche, gastfreundliche, friedliebende und hilfsbereite Menschen – für uns im Unterton immer auch ein leichtes Unbehagen oder so etwas wie Melancholie mit. Sinnbildlich dafür sind die Frauen im schwarzen Schador, die durch die engen Gassen huschen, als wollten sie sich unsichtbar machen. Ein Märchen aus 1001 Nacht sieht anders aus.
Rückblende:
Wir reisen über Armenien ein, an einem Freitag, Feiertag in Iran. Ab jetzt tragen wir lange Kleidung, Socken in den Sandalen und ich den Hijab, das Kopftuch. Noch bin ich optimistisch, dass ich damit gut klar komme. Kann Frau ja auch als Schmuckstück begreifen.
Es ist absolut ruhig an der Grenze und wir bekommen eine Exklusivbehandlung durch die Beamten. Alles verläuft korrekt und relativ zügig. Die Visa (auf einem separaten Papier in den Reisepass gelegt) werden gestempelt, das Carnet de Passage korrekt bearbeitet. Iranische Autokennzeichen wurden wieder abgeschafft, was die Prozedur deutlich vereinfacht. „Welcome to my country!“, hören wir in dieser Stunde sehr häufig.
In Jolfa, dem ersten größeren Ort nach der Grenze, suchen wir eine Geldwechselstube. Es gibt zwar Geldautomaten, die nehmen aber keine amerikanischen Kartenprodukte, daher sind wir mit Euro eingereist, die wir tauschen. Der offizielle Wechselkurs liegt bei 4 Millionen Rial, für 100 Euro. In der Wechselstube bekomme ich das Dreifache. Ich bin auf einen Schlag mehrfache Millionärin! Die Herausforderung besteht darin die zahlreichen Bündel an Scheinen irgendwo sinnvoll unterzubringen, denn der größte, seltener verfügbare Schein ist eine 500.000 Rial-Note. In den ersten Tagen halte ich den stets korrekten Iranern beim Bezahlen kurzerhand ein Bündel Rial unter die Nase und sie bedienen sich. Kaufleute haben eine spezielle Technik entwickelt, um die Scheine rasch zu zählen. Mein Gefummel dauert ihnen zu lange. Iraner schleppen schon lange keine Bündel mehr umher, sie zahlen wo es geht mit Karte. Außerdem hat sich, um dem „Nullen-Wahnsinn“ zu begegnen, in der Bevölkerung eine fiktive Währung eingebürgert, der Tuman. Der hat – je nach Gusto – eine Null weniger oder gar keine mehr. Für uns ist das Gehirnjogging beim Einkaufen. Wir bekommen nur langsam ein Gefühl für die Preisstruktur. Kurz gesagt, Nahrungsmittel und Diesel kosten aus unserer Perspektive praktisch nichts. Fleisch allerdings kostet so viel wie bei uns zu Hause. Der Preis hat sich, wie uns die Einheimischen sagen, in den letzten Monaten verdreifacht. Für Iraner mit einem Durchschnittseinkommen von 500 Euro im Monat kaum mehr erschwinglich. Wir suchen nach Hinweisen auf den Einfluss des Embargos und finden oberflächlich kaum welche. Das Warenangebot in Kaufhäusern unterscheidet sich praktisch nicht von dem bei uns, nur dass es sich um andere Marken handelt. Vieles davon, einschließlich Autos oder Textilien, sind Eigenprodukte „Made in Iran“. Das Land scheint sich selbst ernähren zu können, in Iran wird sogar Reis angebaut. Ich habe allerdings den Eindruck, dass die ordentlich aufgereihten Kühlschränke und Waschmaschinen in den Läden vor sich hin stauben, weil sich die Iraner die Produkte gar nicht leisten können.
Auf dem Basar amüsieren wir uns über die Plagiate, die kreativ umbenannt werden, z.B. Ermani statt Armani.
Wir haben uns für die ersten Tage ein Hotelzimmer gemietet, um langsam anzukommen. Campingplätze kennen Iraner nur für Zelte. Diese stellen sie überall da auf, wo ein Stück Grün zu finden ist: Im Park, bei Naturschauplätzen oder einfach auf der Verkehrsinsel.
Der Landy parkt nun in einem kleinen Garten vor der Hotelburg, direkt an einer stark befahrenen Straße in Orumiyeh. Als ich einchecken will, bittet mich die Dame an der Rezeption höflich, doch auf der Couch Platz zu nehmen, bis mein Mann kommt.
Dass der gar keine Absicht hat zu kommen, kann ich ihr nicht erklären. Daher ignoriere ich ihre Aufforderung und bitte um die Zimmerschlüssel. Die Frage ob wir getrennte Betten wollen oder ein großes, überrascht mich. Mit der Übernachtung im Zimmer entgehen wir später zwar dem Autolärm, aber die Klimaanlage pustet die Abgase der vierspurigen Verkehrsstraße direkt ins Schlafzimmer. Bruno ist zum ersten Mal auf der Reise nachts alleine im Landy und macht seine Sache sehr gut.
Wir haben – wie immer nach Grenzübertritten – einiges zu erledigen. Der erste Gang geht zum Versicherungsgebäude. Im Hotel haben sie dem Taxifahrer aufgeschrieben wo wir abgesetzt werden wollen, auf Farsi versteht sich. Wir werden direkt in das Büro des Abteilungsleiters gebeten, der uns verspricht unser Problem, eine Autoversicherung für zwei Monate, zu lösen. Der Verwaltungsakt nimmt allerdings einige Zeit in Anspruch, so dass wir es uns in seinem Büro gemütlich machen, bei Kokoskeksen und alternativlosem Nescafé. Es defilieren in der Folge fast alle seine Mitarbeiter und sein Vorgesetzter an uns vorbei, testen ihr Englisch und geben uns einen Vorgeschmack auf duzende Unterhaltungen nach dem gleichen Schema: „Aus welchem Land kommst du? Wie bist du hierher gekommen? Wie lange bleibst du? Was möchtest du sehen? Wie gefällt dir unser Land?“ Was ist dein Beruf?“ Wir werden mit jeder Menge touristischem Anschauungsmaterial versorgt. Irgendwann habe ich das Gefühl nicht bei der Versicherung sondern im Reisebüro gelandet zu sein. Der Abteilungsleiter genießt es sichtlich sein Englisch auszuprobieren und die Attraktionen seines Landes in höchsten Tönen anzupreisen. Als es ans Bezahlen geht stehen wir zunächst vor einem Rätsel. Die Versicherung nimmt nur Kreditkarten als Zahlungsmittel an, aber ganz sicher nicht VISA. Der Mitarbeiter der sich um uns gekümmert hat, zückt seine Karte und bezahlt in unserem Namen. Wir geben ihm dafür das Geld in Bar. Pragmatisch sind sie, die Iraner!
Das schöne an Orten abseits touristischer Pfade ist, dass wir die Basare authentisch erleben können. Hier in Orumiye gibt es keine Souvenirs, niemand versucht uns etwas ans Herz zu legen. Nur verstohlene Blicke und ein gelegentliches „Willkommen in Iran!“ Ich kann mich an den bunten Gewürzen gar nicht satt sehen und ärgere mich, dass meine Videokamera keine Gerüche aufnehmen kann. Als wir aus dem Gassengewirr wieder auftauchen, werden wir von einem Herrn höflich auf bestem britischen Englisch angesprochen. Es stellt sich heraus, dass er Englischlehrer ist, aber sich derzeit mit der Reparatur von Nähmaschinen über Wasser hält, eine Beschäftigung die ihn langweilt. Sein Lehrer-Job ist gerade nicht sehr populär. Er fragt uns, ob wir einer Beschäftigung nachgehen die uns Freude bereitet. Darüber, dass ich meinen Beruf frei wählen und auch ausüben kann, habe ich mir noch nie Gedanken gemacht. Freiheit wird wohl erst bewusst erlebt, wenn sie fehlt.
Im Verlauf des Gesprächs gesellt sich ein Kollege unseres Gesprächspartners zur Runde. Er zeigt mehr Interesse an deutschen „Qualitätsmarken“, also Autos und Fußballvereine. Nachdem wir über Mercedes, BMW und Bayern München gesprochen haben formt er plötzlich ein Herz vor der Brust und drückt seine Bewunderung für Adolf Hitler aus. Hätten wir das nicht im Vorfeld im Reiseführer gelesen, wären uns sicher die Gesichtszüge entglitten. So beherrschen wir uns und flüchten aus dem Thema mit einem lapidaren „der ist Geschichte!“ Der Englischlehrer möchte uns zum Essen zu sich nach Hause einladen. Seine Kinder hat er zweisprachig erzogen. Der Austausch täte ihnen sicher gut. Wir lehnen die Einladung aber höflich ab, denn wir wissen nicht, ob unsere Bewirtung völlig über seine Verhältnisse ginge. Wie es in Iran Sitte ist, wird die Einladung ebenso wie die freundliche Ablehnung aber noch 5 Mal wiederholt, bis das Nein als Nein wirklich akzeptiert ist.
Wir rollen am Orumiye-Salzsee – der vor Jahrzehnten noch ein Naherholungsgebiet war und jetzt ausgetrocknet ist – vorbei, in Richtung Takt-e-Souleyman. Als Individualtouristen mit fahrendem Heim sind wir hier Exoten, auch wenn der Iran als Reiseziel gerade sehr angesagt ist. Die Liebe der Iraner zu Touristen kann jedoch auch sehr gefährlich sein. Nahezu jedes Individuum muss uns auf dem Mobiltelefon festhalten, am liebsten als Selfie. Ich möchte gar nicht wissen auf wie vielen Instagram Accounts wir zu sehen sind. Wenn wir gerade fahren, werden wir mit dem Auto oder dem Motorrad umrundet, bis das 360 Grad Video vollendet ist. Dass dabei halsbrecherische Fahrweisen nötig sind, die uns wiederum zu Ausweichmanövern oder Vollbremsungen nötigen, ist aus der Sicht der Iraner hinzunehmen. Eine beliebte Variante ist, auf den Standstreifen zu ziehen und direkt vor uns die Fahrertür aufzureißen, um zu filmen, uns etwas zuzurufen oder zu winken. Wir üben uns in Gelassenheit. So müssen sich Filmstars fühlen…
Auch mit über 1500 Kilometern Reichweite müssen wir in einem Land das halb so groß ist wie Indien gelegentlich tanken. Die meisten PKW und Busse in Iran fahren mit Gas, das scheußlich riecht. Nur LKW fahren mit Diesel. Es gibt also nur wenige Tankstellen die Diesel führen. Dazu bekommt man diesen Treibstoff nur mit einer Tankkarte, die wir natürlich nicht haben. Aber die meisten LKW-Fahrer sind gerne bereit, uns ihre Karte zu borgen. Anschließend rauschen sie, eingehüllt in eine schwarze Wolke, mit ihren urzeitlichen knallorangenen Rundhaubern davon. Es dauert genau eine Woche, bis sich die aus Kindertagen wohlbekannte Mandelentzündung bei mir einstellt.
Iraner leiden als Autofahrer an absoluter Selbstüberschätzung. Die Polizei ist dazu übergegangen die schlimmsten Beispiele von Unfallwagen, als abschreckendes Beispiel, auf dem Dach der Polizeistation auszustellen. Wir haben nicht den Eindruck, dass es funktioniert. Peters Blutdruck steigt, vor allem außerhalb geschlossener Ortschaften, binnen Sekunden rasant an. Ich sehe das von meinem Beifahrersitz relativ gelassen, denn unser Auto ist robuster als die meisten Fahrzeuge die hier unterwegs sind. Aber um die Verkehrsteilnehmer der niederen Hierarchiestufen mache ich mir ernsthaft Sorgen. Mopeds zum Beispiel, auf denen gerne mal die ganze Familie, einschließlich dreier Kinder – natürlich alle ohne Helm – unterwegs ist.
Takt-e-Soleyman liegt auf über 2000 Metern Höhe und ist beeindruckend groß. Die Landschaft ist vulkanischen Ursprungs. Das was heute archäologische Fundstätte ist, beherbergte über Jahrhunderte das heilige Feuer und war als rituelles Zentrum einer der wichtigsten Orte im Reich der Zoroastrier. Inmitten der Ruinen findet sich ein nahezu kreisrunder See, der von unterirdischen Quellen gespeist wird und so konstant 21 Grad Celsius aufweist. Das Wasser entweicht ins Umland über drei Abflüsse. Als wir zu Besuch sind kommt gerade ein Ziegenhirte mit seiner Herde vorbei. Die Tiere kennen sich aus und klettern flink den Steilhang hinauf, um zu trinken. Die Szene hat fast etwas Biblisches.
Von hier aus können wir auch den nahegelegenen Vulkankegel des Zendan-e-Soleyman sehen, auf den ich wenig später hinaufsteige. Der Kratersee ist inzwischen versiegt, ich starre in ein 80 Meter tiefes Loch. Beeindruckender finde ich die Aussicht von hier oben. Zum ersten Mal habe ich direkt vor Augen, wie groß und weit und karg dieses Land ist.
An der alten Königsstraße die Teheran mit Bagdad verband liegt der kleine Ort Bisotun. Schon von weitem können wir die hoch aufragende Felswand sehen, an deren Steilhang mehrere Reliefs zu besichtigen sind. Schon 500 vor Christus hat König Darius I. hier eine Inschrift hoch in den Fels meißeln lassen, die in drei Sprachen abgefasst ist: Altpersisch, Elamisch und Babylonisch. Erst 1830 machte es ein britischer Offizier namens Rawlinson zu seiner Aufgabe, die Schrift zu entziffern. Er brauchte Jahrzehnte bis er die Texte zum Sprechen brachte. „Heraus strömte ein Jahrtausende altes, aber sehr lebendiges Stimmengewirr – das Gewusel der sumerischen Märkte, die Prahlereien assyrischer Könige und das Gezänk babylonischer Bürokraten.“ Mit der Übersetzung hatte er auch die Tür geöffnet, um unzählige andere Texte der alten und vergessenen Welt im persischen Reich zu verstehen. (Zitiert aus „Eine kurze Geschichte der Menschheit“ von Yuval Noah Harari.)
Bruno muss derweil wieder einmal im Auto bleiben, dessen Fenster wir verdunkeln und für Querlüftung sorgen, damit die Temperatur erträglich bleibt. Für diese Pein wird er belohnt mit einer Übernachtung im angrenzenden Wald. Hier werden wir das erste und einzige Mal erleben, dass Iraner – Kinder, Halbwüchsige und Alte – tatsächlich nach Geld verlangen. Peter hat inzwischen an seinem Farsi gearbeitet und schickt sie energisch weg. Als wir gerade im Landy beim Abendessen sitzen klopft es an der Tür. Wir schauen uns verdutzt an und Peter zieht sich ein adäquates Kleidungsstück an, bevor er öffnet. Draußen steht die Dorfpolizei. Wir können nur vermuten, dass man hier wohl nicht übernachtet. Aber da weder wir sie, noch sie uns verstehen, ziehen die Beamten schulterzuckend wieder ab. Wir bleiben und verleben eine sehr ruhige Nacht bei mildem Klima.
Wir sind im westlichen Iran unterwegs in Richtung Süden. Das Straßennetz in Iran ist sehr gut ausgebaut und so kommen wir gut voran. Die Versorgungslage ist perfekt, denn Bauern stehen mit ihren Pick-Ups am Straßenrand und verkaufen ihre Waren an die Reisenden direkt von der Ladefläche. Peter möchte Tomaten. Als ich mir aus einer Kiste 4-5 besonders schöne Exemplare aussuche, schaut mich der Bauer verdutzt an. Ich brauche eine Weile, um zu begreifen, dass er die Kisten nur im Ganzen verkauft. In den folgenden Tagen gibt es sehr viele Gerichte mit Tomaten.
Je weiter wir vordringen, umso heißer wird es. Selbst im Zagros Gebirge, das über zahlreiche 4000er verfügt, klettert das Thermometer um diese Jahreszeit (September/Oktober) noch über die 35 Grad Marke. Die Landschaft ist berauschend schön, mit schroffen Felsen und einzeln stehenden Bäumen, die ihre Schatten auf den Stein werfen, wie Stecknadeln auf ein Stück Stoff. Peter sucht uns ein Camp an einem Flusslauf. Er springt sofort in die Badehose und kühlt sich ab. Bruno begleitet ihn. Ich bleibe am Ufer zurück, denn ich darf der Landessitte folgend nur in voller Montur ins Wasser. Da verzichte ich lieber. Ich fühle mich solidarisch mit all den Iranerinnen die diesen Kleiderzwang ebenso scheußlich finden wir ich. Mein Glück ist, dass ich dieses Erlebnis als Erfahrung verbuchen kann, wenn wir gehen. Die Frauen hier haben keine Wahl.
Wir haben ein Problem: Schon seit der Türkei bekommen wir keinen Spiritus mehr für unseren Kocher im Auto. Ich habe zwar noch einen Campingkocher dabei der mit Gaskartuschen funktioniert, aber diese sind entlang unserer Route entweder unglaublich teuer oder gar nicht zu bekommen. Also stellen wir um auf die hier üblichen „Ein-Flammen-Gaskocher“. Blöd nur, dass das Exemplar das Peter hier fröhlich ergattert hat gar nicht mit Gas gefüllt war, sondern mit Druckluft. Dann muss es ja auch Geschäfte geben die nachfüllen. Aber wo? Am Stadtrand von Andimeshk werden wir schließlich fündig. Ein Arbeiter steht in sengender Sonne am Gehweg. Seine „Service-Station“ ist abenteuerlich und jeder TÜV würde ähnliche Unterfangen bei uns sofort verbieten. Das zu füllende Gefäß steht wackelig auf einer Behelfskonstruktion aus Holz und die Quelle schwebt kopfüber obendrauf. Irgendwie werden die zwei Druckbehälter miteinander verbunden, wobei Kühlung mit Eis dafür sorgen soll, dass nichts abfackelt. Ich kann gar nicht hinsehen.
Im Geschäft nebenan will Peter Getränke einkaufen. Als er zurückkommt schüttelt er ungläubig den Kopf: Weil er Gast seines Landes ist, wollte der Verkäufer von Peter kein Geld annehmen. So ergeht es uns häufiger. Wenn wir darauf bestehen zu zahlen, bekommen wir kleine Geschenke wie Kekse, Schokolade oder Obst obendrauf.
In der nächsten Sekunde – als ein (natürlich männlicher) Passant versucht Peter auf die Wange zu küssen – erscheint und die Liebe der Iraner zu ihren Besuchern wieder zu überschwänglich und wir sehen zu, dass wir weiter kommen. Der Reiseführer schwärmt vom Dez Reservoir. Also nehmen wir Kurs. Das Thermometer klettert über 40 Grad Celsius. Die Landschaft ist wüstenhaft und von Kratern durchzogen. Weit und breit kein Baum und kein Strauch. Dann eine Polizeistation. Strategisches Gelände. Keine Chance auf Weiterfahrt. Den See bekommen wir gar nicht erst zu Gesicht. Was jetzt? Weiter Richtung Südosten. Die Nachmittagssonne wirft lange Schatten. Die Straße ist schnurgerade. So weit das Auge reicht Raffinerien und brennende Ölfelder. Roland Emmerich hätte seine Freude an dieser Endzeitstimmung. Mir wird es mulmig. Wenn Trump nervös wird, ist dies hier der letzte Ort an dem ich sein will. Also weiter. Inzwischen ist es dunkel. Das GPS weist am Ende einer Sackgasse einen See auf. Wir vermuten ein Trinkwasserreservoir. Dort angekommen eine Polizeisperre. Ist wohl das Thema des Tages. „Können wir bei euch übernachten?“ „Ja klar, kein Problem!“ Bruno fetzt über den Parkplatz. Ein Pärchen Schakale kommt vorbei und begrüßt ihn lautstark. Erinnerungen an Afrika werden wach. Wir schlafen tief und fest, allerdings nicht lange, denn gegen 6 Uhr ist Schichtwechsel. Die neue Wache klopft energisch gegen unsere Hecktür und bedeutet uns, dass wir uns schleichen sollen. Ist eben eine Polizeistation und kein Campingplatz. Wir raffen eilig unsere sieben Sachen zusammen, doch noch bevor ich irgendetwas sagen kann, hat einer der Polizisten auf dem Beifahrersitz Platz genommen. Er nutzt uns als Taxi zurück in die Stadt.
Wir merken schnell, dass uns die Polizisten ein Geschenk gemacht haben, denn die wundervolle Morgenstimmung hier im Flusstal hätten wir sonst glatt verpasst. Wir sind auch weiß Gott nicht die Einzigen, die so früh unterwegs sind: Schulkinder in ihren Uniformen, Bauern auf den Reisfeldern, Bäcker die frische Ware ausliefern. Die goldene Morgensonne taucht alles in bunte Regenbogenfarben. Schön!
Peter hält beim Metzger. Bruno braucht Fleisch. Er darf wie alle hier kein Schwein essen, trotzdem fragt Peter zur Sicherheit nochmal nach: „Ist das Kuh?“ Der Metzger lacht und antwortet: „Gestern war es noch eine.“ Ich bleibe derweil im Auto und verdrehe beim Hitlergruß in meine Richtung genervt die Augen.
Auch knapp 200 Liter Trinkwasser halten nicht ewig. Wir müssen nachtanken. In Yasudj gibt es einen schönen Platz unter schattigen Bäumen mit zahlreichen Wasserstellen, der bei Iranern sehr beliebt ist. Sie haben Zelte zum Übernachten mitgebracht und Teppiche, die sie auf eigens dafür vorgesehenen Plattformen auf Beton ausbreiten. Sogleich wird mit der Teezeremonie begonnen. Wir werden von einem Mann Mitte 20 angesprochen und zum Tee mit seiner Familie eingeladen. Wir nehmen auf dem Perser Platz und es beginnt eine Vorstellungsrunde. Wir werden den jungen Mann hier Mehdi nennen, um seine Identität zu schützen, denn er ist einer der Menschen, die offen mit uns über die Probleme im Iran sprechen. Uns fällt auf, dass er über einen großen Wortschatz verfügt und perfekt die englische Grammatik beherrscht. Er erklärt uns, dass er sich die Sprache über YouTube Videos selbst beigebracht hat. Das ist auf zweifache Weise erstaunlich, denn man muss schon sehr diszipliniert sein, um im Eigenstudium so weit zu kommen, noch dazu über eine Plattform, die im Iran gesperrt ist. Er erzählt uns freimütig, dass er auch andere Social Media Plattformen nutzt, die verboten sind. Er darf sich nur nicht dabei erwischen lassen. Es scheint, das ist die stille Rebellion der Jugend und eines der Schlupflöcher, über die Nachrichten nach außen dringen, wenn sonst nichts mehr geht. Mehdi spricht davon, dass sein Vater als Lehrer so wenig Geld verdient, dass er – um die Familie über Wasser zu halten – einen zweiten Job machen muss. Ein Sozialsystem gibt es in der Theorie zwar für alle, in der Praxis aber kümmert es sich nur um Staatsdiener. Für alle anderen ist die Großfamilie zuständig. Vom Staat bekommt jede Familie im Monat 3 Euro aus den Öleinnahmen. Das findet so mancher Iraner lächerlich wenig. Die Jungen träumen von einer Zukunft im Ausland. Auch Mehdi will nach Deutschland. Er ist durch sein abgeschlossenes Studium gut ausgebildet. Hier bekommt er keinen Job.
Peter verabschiedet sich formvollendet auf Farsi. Mehdi konstatiert: „Dein Farsi ist besser, als dein Englisch!“ Das sitzt. Wohl wissend, dass dies in seinem Land eine Unsitte ist, gibt er mir zum Abschied die Hand. Sollte er nach Deutschland kommen, bieten wir unsere Hilfe an.
Wir sitzen wieder einmal beim Abendessen als es energisch an der Tür klopft. Ich verziehe mich in einen Winkel in dem ich ohne Kopftuch nicht zu sehen bin. Peter öffnet die Tür. Polizei. Der Beamte will Small-Talk machen, sein Englisch ausprobieren, die obligatorische, nicht ernst gemeinste Einladung zum Essen aussprechen. Dabei versucht er immer wieder ins Auto zu gucken, was Peter durch geschickte Körperhaltung zu verhindern weiß. Ich verstehe diese Männer nicht. Ihre eigenen Frauen müssen sich bis zur Unkenntlichkeit verhüllen, aber sobald eine Ausländerin in der Nähe ist, wird sie von oben bis unten taxiert. Das geht mir auch auf der Straße so und inzwischen reichlich auf die Nerven. Fotos werden sowieso dauernd gemacht, von Männern meist ungefragt. Die Frauen fragen mich hingegen immer ober ich Lust auf ein Selfie habe.
Der Polizist lallt. Hat der tatsächlich getrunken? Kann ja eigentlich nicht sein. Mit einem an Peter gerichtetes „I love you!“ verabschiedet er sich. Den Rest der Nacht ist Ruhe. Peter flickt noch ein paar „Imame“, denn die Rial sind deutlich in die Jahre gekommen und in zwei Teilen wollen sie selbst die Iraner nicht annehmen.
Am Morgen hat sich eine Streife in geringer Entfernung zu unserem Auto installiert und guckt zu wie wir unsere Haushaltstätigkeiten verrichten. Ich natürlich züchtig in langer Bekleidung und Kopftuch. Ich fange an das Ding zu hassen. Nicht weil es mir als Kleidungsstück auf den Wecker geht, sondern weil mir die Symbolkraft die davon ausgeht inzwischen derart gegen meine Überzeugung geht, dass ich schreien möchte. Ich mache mir einmal mehr bewusst, dass schon meine Lehrer an der Mädchenschule einen echt guten Job gemacht haben. Sie haben uns immer eingetrichtert, dass wir auf nichts weniger als die ganze Welt einen Anspruch haben – dass wir unbequem sein sollen. „Seid nicht das Öl, sondern der Sand im Getriebe der Welt“, hat uns die Deutsch-Lehrerin – ein Fan von Hilde Domin – mit auf den Weg gegeben. Wir wurden zu selbstbewussten Frauen erzogen. Wohl auch deshalb habe ich viele Jahrzehnte später und tausende Kilometer weit weg ein massives Problem damit, wegen meines Geschlechts diskriminiert zu werden.
Wir besuchen die Margoon Wasserfälle. Ein kleiner Fußweg führt vom Parkplatz in einen Canyon. Teilweise müssen wir durch Wasser waten. Dann erreichen wir das Naturschauspiel. Sicher, es sind nicht die Wassermassen der Viktoria- oder der Niagara-Fälle, aber hier beeindruckt die Perspektive, denn wir bestaunen die zahlreichen ein- bis zweihundert Meter hohen Kaskaden von unten. Das Wasser rauscht auf uns zu, sammelt sich in einem Becken in dem sehr alte, knorrige Bäume stehen und fließt von dort schließlich als Fluss weiter. Schade nur, dass die Iraner hier überall ihren Müll liegenlassen. Er verschmutzt die Wege und das Wasser. Peter findet das unmöglich und will gleich wieder gehen. Ich bin allerdings beschäftigt: Selfie-Time! Die IranerInnen machen von und mit mir ebenso viele Fotos wie vom Wasserfall.
Autowanderer-Lazarett: Bruno hat einen entzündeten Pippimann, bei Heike sind es die Mandeln und Peter hat die flotte Lotte. Auszeit. Hierfür hätten wir keinen besseren Platz als das „verlorene Paradies“ finden können. Drei Tage in völliger Einsamkeit an einem kleinen Bach, im Schatten alter Bäume, in Mitten eines farbenprächtigen Canyons, durch den ein Fluss fließt, an dessen Ende erneut ein Wasserfall plätschert. Wir machen kleine Spaziergänge, glotzen ins Grüne und schlafen, schlafen, schlafen.
Wir sind jetzt fit für unser erstes großes Städte-Highlight: Shiraz liegt vor uns. Auf dem Weg dorthin passieren wir viele Weinberge die voll hängen mit den berühmten Trauben, aus denen jedoch nur andernorts der Wein mit dem vollen Aroma gemacht wird. Hier kauft man die Trauben in Steigen und isst sie. Wir steigen ab im Park-Hotel. Einer Anlage die aus der Zeit gefallen ist. Zu Reza Pahlevi´s Zeiten hat es seine Blüte erlebt und sich seither nicht verändert. Gerade wurde der vierte Stern aberkannt, weshalb kaum noch ausländische Gäste absteigen. Schade eigentlich, denn die Zimmer sind sauber und ordentlich, der Service sehr freundlich und hilfsbereit. Frühstück gibt´s im Palmengarten. Das Buffet ist in einem gläsernen Pavillon aufgebaut. Aus den Lautsprechern tönt noch die selbe Musik wie zur Hoteleröffnung, so vermute ich. Alte amerikanische Filmmusik und Jazz. Den Cadillac mit amerikanischem Nummernschild auf dem Parkplatz haben sie allerdings mit Tüchern verhüllt. Bruno findet es hier toll, denn es gibt zahlreiche Vollieren mit allerhand Federvieh.
Direkt vor dem Hotel ist ein Laden mit Espressomaschine und Illy-Bohnen. Guter Kaffee ist lange her. Der Betreiber wird unser Freund für die nächsten Tage.
Hier lernen wir einen Iraner kennen, der in Deutschland ein Studium aufgenommen hatte und dann zurück musste, weil seine Mutter Alzheimer bekam. Er spricht fließend deutsch und verdient sich hier als Reiseführer. Sein Mitteilungsdrang ist so groß, dass er selbst für uns fast zu schnell spricht. Er versteht nicht, warum die Landesführung nichts tut, um die Wirtschaft auf die Beine zu bringen. Es wäre ja schon ein Anfang beim Rial ein paar Nullen wegzustreichen, wie es die Türken gemacht hätten.
Beim Stadtrundgang kommt bei uns beiden zum ersten Mal so etwas wie orientalisches Gefühl auf. Neben einem gigantischen Basar gibt es hier zahlreiche Moscheen. Wir besuchen gepflegte, bunt angelegte Gärten und historische Bauten. Mit dem Pars- Museum beginnen wir, einem achteckigen Bau, dessen Decke mit dreidimensionalen Verzierungen verzaubert. Hier ist eine Koranschrift aus dem 14. Jahrhundert ausgestellt sowie Keramiken und Bronzearbeiten.
Die Vakil-Moschee ist ein riesiger Bau, der heute nicht mehr zum beten genutzt wird. Außer uns ist niemand hier. Menschenfreie Fotos. Die nächste Moschee prahlt am Eingang damit, dass ihr alle Religionen willkommen sind. Es gibt getrennte Eingänge für Männlein und Weiblein. Peter ist im Handumdrehen durch die Kontrolle. Ich werde erst in einen Schador gewickelt, dann wird der Inhalt meiner Tasche durchleuchtet und dann soll ich auch noch auf einem Stuhl platznehmen und auf wer-weiß-wenn warten, während die Iranerinnen an mir vorbeidefilieren. Nachdem ich eine Weile unter den Stoffbahnen vor mich hin gebrütet habe (wir reden hier immerhin über eine Frau in den Wechseljahren, die nicht nur Hitzewallungen hat, sondern auch sehr rasch ein erhitztes Gemüt!) platzt mir der Kragen. Ich wickele mich wieder aus, knalle den verdutzten Damen die Tücher auf den Tresen und gehe. Peter, der auf der anderen Seite des Vorhangs geduldig gewartet hat, statt sich die Moschee anzusehen, folgt mir kopfschüttelnd nach. In der Nasir-ol-Molk Moschee nehmen sie mich wie ich bin. Das ist mir sympathisch. Ein Iraner ruft uns zwar zu, das Licht wäre am Morgen am besten, aber ich entgegne: „wir schlafen gerne aus!“ Die Buntglasfenster sind unglaublich und selbst jetzt zur Nachmittagsstunde wird der Gebetsraum mit Teppichen in wunderschöne Farben getaucht. Kein Wunder schafft es dieses Bild auf jeden Instagram-Account und in jeden Reiseführer!
Den letzten Höhepunkt des heutigen Tages bildet der Baq-e-Narenjestan, der Orangengarten. Wer aber denkt hier sind bundesgartenschaumäßig Blümchen und ein paar Orangenbäume gepflanzt, der irrt. Der Iran ist berühmt für seine Gärten und das völlig zu recht. In der Mitte sprudelt ein Brunnen in einen gigantischen Teich. Die Bepflanzung mit Blumen, Sträuchern und Palmen bildet mehrere Ebenen, dazwischen sind Liegen und Stühle zur Rast arrangiert. Das Restaurant liegt versteckt im Grünen. Am Ende der Anlage wartet ein Palast mit Spiegelsaal, Deckenfresken und Reliefkunst. Was für ein Finale!
Am Abend essen wir an einer der zahlreichen Grillstationen, die auf dem Gehweg aufgebaut werden. Wir sitzen auf einer Parkbank. Die Fleischspieße sind auf einem riesigen silbernen Tablett – das fast vollständig mit Nan (Brot) bedeckt ist – angerichtet. Gewürzt wurde sparsam mit frischem Basilikum, Limettensaft und grobem Salz. Schon für den Anblick lasse ich alle Restaurants der Umgebung links liegen.
Basare im Iran sind ein eigener Kosmos. Hier gibt es nicht nur hunderte von Geschäften und Werkstätten sondern auch Cafés und Restaurants, Moscheen, Lebensmittelläden und sogar Badehäuser. Im Basar von Shiraz könnten wir uns für Tage verlieren. Entgegen jeder Erwartung werden wir hier nicht bedrängt etwas zu kaufen. Wir schauen ganz unbehelligt die Ware an und erst wenn wir Fragen stellen entwickelt sich ein Gespräch. Beim Teppichhändler können wir uns sogar auf Deutsch unterhalten, denn der Bruder des Verkäufers lebt in München und hat dort einen Laden. Wir haben inzwischen über die Inneneinrichtung unseres neuen Lofts nachgedacht und kaufen zahlreiche Kissen. Meine Augen bleiben außerdem an einem Kelim hängen. Die dominierende Farbe ist natürlich orange. Perfekt für den Betonboden in meinem neuen Büro. Der Händler erklärt, dass er die Teppiche von Nomadenfrauen aus dem Norden Persiens bezieht. Sie weben auf dem Boden sitzend und entwerfen die Muster nach ihrer eigenen Fantasie. Früher haben sie Naturfarben benutzt. Das ist heute nicht mehr so. Für einen Teppich mittlerer Größe brauchen sie zwei Monate. Den Stundenlohn möchte ich mir gar nicht ausrechnen, sonst bekomme ich ein schlechtes Gewissen.
Auf dem Heimweg kommen wir an einer Buchhandlung vorbei. Im Schaufenster steht die Biographie von Michelle Obama. Bei dem angezeigten Preis wohl eine Raubkopie, aber erstaunlich allemal. Auch wenn das Gedankenspiel nutzlos ist frage ich mich, wo der Iran heute stünde, wenn Obama noch Präsident wäre.
Von Shiraz aus erreichen wir in nur 50 km Entfernung Persepolis. Solange wir noch in der Stadt sind, ist Peter ein entspannter Fahrer. Er findet die Fahrweise der Stadt-Iraner „geschmeidig“. Im Klartext heißt das „ignoriere jede Verkehrsregel und passe dich dem Verkehrsfluss an.“ Besonders spannend ist das bei Kreiseln. Es fahren einfach alle gleichzeitig, egal ob schon drin oder noch draußen. Peter hat seine Fahrweise inzwischen angepasst und fließt mit dem Strom. Die Anfahrt auf Persepolis ist eine schnurgerade Prachtmeile mit breiten gepflasterten Gehwegen und einem riesigen Wäldchen. All das hat Schah Rezah Pahlavi zur 2500 Jahr-Feier der Monarchie im Jahr 1972 errichten lassen auf die wir gleich noch einmal zurückkommen.
Die „Stadt der Perser“ liegt am Fuße des Berges der Gnade und war eine Palastanlage die ausschließlich für Feierlichkeiten genutzt wurde, wie das iranische Neujahrsfest oder Partys nach erfolgreichen Siegesfeldzügen. Die natürliche Ebene wurde soweit aufgeschüttet, dass eine ebene Fläche vom 400×300 Metern entstand auf der nach und nach verschiedene Paläste erbaut wurden. Leider stehen davon heute nur noch die Ruinen, aber die sind schon wegen ihrer Ausmaße beeindruckend. Als Tourist betritt man die Anlage über das „Tor aller Länder“ das von zwei geflügelten Stieren bewacht wird, die das Böse abhalten. Am 100-Säulen-Palast vorbei – für den wir viel Phantasie brauchen, weil von den Säulen nur die Fundamente übrig sind – gelangen wir zum Herzstück, der Apanada. Hier sind viele Reliefs noch erhalten, wie beispielsweise Darstellungen von Pferd und Löwe, die das neue und das alte Jahr symbolisieren. Außerdem sind die Abgesandten der Reichsvölkerschaften abgebildet. Diese werden von zahlreichen Tieren, zum Beispiel Kamelen, begleitet. Am Treppenaufgang schließlich ist der Aufmarsch verschiedener Adliger zu sehen sowie 23 Delegierte, die dem König ihre Aufwartung machen. Was mich begeistert ist die filigrane Darstellung der hier abgebildeten Figuren. Die Iraner sind einmal mehr begeistert von uns zwei Figuren. Und so wechseln sich Fotos der Reliefs und Selfies mit uns munter ab.
Inmitten der Anlage steht eine Tribüne mit unbequem, hässlicher Bestuhlung. Die Außenbezirke verunzieren zahllose Gestänge die Landschaft, Überbleibsel von Festzelten. Ein Mahnmal der Schande. Um diese Anklage zu verstehen, muss man wissen, dass der letzte Schah hier eine Orgie mit über 100 ausländischen Gästen gefeiert hat. Die Sause mit Kaviar und Champagner wurde im Iran als Zeichen seines Größenwahns interpretiert und als obszön empfunden. Sie war der Anfang vom Ende. Auf YouTube kann man sich einen Film dieses Spektakels mit Originalbildern ansehen. Die englische Sprechstimme gehört keinem geringeren als Orson Welles.
Von Persepolis ist es nur ein Katzensprung bis Naqsh-e Rostam, gigantischen Felsengräbern. Es wird angenommen, dass hier die Herrscher beigesetzt sind, die Persepolis haben errichten lassen. Insgesamt 4 Gräber liegen direkt nebeneinander. Reich verziert mit großen Reliefs, stehen die Grabtüren offen. Die Beigaben wurden schon vor den Ausgrabungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts geplündert.
Jetzt sind wir unterwegs nach Yazd, einer Oase in wüstenhafter Landschaft. Hier gibt es zwar hohe Berge, aber kaum Vegetation. Bevor wir den Ort erreichen, übernachten wir in einem Wildcamp auf einem Hochplateau in der Nähe des Berges Shir Kuh. Er ist 4000 Meter hoch. Vollmondnacht, Farbenpracht. Und wir sind nicht alleine: Mit uns bestaunen Roman und Manuela aus Südtirol das Spektakel. Sie sind mit einem 130er Landy unterwegs und kommen aus der Mongolei über den Pamir Highway nach Iran. Usbekistan war ihr persönliches Highlight.
Das Silk-Road-Hotel ist die Standardadresse für Overlander in Yazd. Man kann auf dem Parkplatz Camp aufschlagen und die Dusche benutzen, wenn im Restaurant konsumiert wird. Das dürfte uns nicht schwerfallen. Schwieriger ist es, den Platz im engen und verwinkelten Gassengewirr aus Lehmbauten mit unserem Land Rover zu erreichen. Am Ende fahren wir in vollem Bewusstsein gegen eine Einbahnstraße direkt auf die große Moschee zu und winken dabei freundlich allen Händlern zu, die uns durch Handzeichen auf unseren Fehler aufmerksam machen wollen.
Die Stadt zieht uns sofort in ihren Bann. Für Buno allerdings bedeutet das drei Tage Haft, denn auch wenn die iranische Bevölkerung in großen Teilen unserem süßen Vierbeiner Sympathie entgegenbringt, so ist seine Anwesenheit hier offiziell nicht erwünscht. Die Temperaturen über 35 Grad machen seine Situation nicht gerade besser. Wir tun alles, um es ihm im Landy so angenehm wie möglich zu machen: Verdunklung, Querlüftung und eine gelegentliche Spritzwasserdusche. Am frühen Morgen und am Abend darf er raus, spielen mit den Kindern anderer Reisender. Dann rennt er über den Parkplatz seinem Ball hinterher, sehr zur Erheiterung aller Umstehenden.
Uns treibt derweil die Visumsverlängerung um. Selbst wenn wir nicht vorhaben die zusätzlichen 30 Tage voll auszunutzen, so sind sie doch ein gutes Polster für den langen Rückweg. Also führt unser erster Weg zum Fotografen, denn unsere Passbilder sind ja leider in Italien geblieben. Der Mann ist professionell und effizient. Hinsetzen, Hemdkragen zurechtrücken, bloss nicht lächeln, einmal abdrücken, fertig. Zu unserer Überraschung hält er dann neben den gewünschten Passfotos noch eine Version bereit, die unsere Konterfeis vor iranischer Kulisse zeigt.
Dann geht´s zur Polizeistation. Am Eingang ist Sicherheitskontrolle. Wir müssen unsere elektronischen Geräte abgeben. Als ich einen Fotoapparat, ein Mobiltelefon, eine Videokamera und noch ein Mobiltelefon zu Tage befördere schmunzelt der Polizist amüsiert. „Touristen!“
In der Schalterhalle ist Hochbetrieb. Was wollen die hier nur alle? Eine vollverschleierte junge Frau zieht bei Peters Anblick ihren Schador noch tiefer ins Gesicht. Wir nehmen am Rande der Stuhlreihen Platz und warten erst einmal ab, weil wir nicht verstehen, wie das hier funktioniert. Sogleich kommt jemand gelaufen und bedeutet uns zu folgen. Wir werden in den Bereich hinter den Schaltern geführt, uns werden bequeme Sitzplätze angeboten und Tee. Der Beamte der unseren Papierkram erledigt, ist ein knitzes Kerlchen der uns nun parallel zu den Wartenden vor dem Glasfenster abfertigt. Warum wir einmal mehr eine Sonderbehandlung bekommen, darüber können wir nur spekulieren. Jedenfalls stellt er uns für den folgenden Tag die Visumsverlängerung in Aussicht. Allerdings müssen wir noch zahlen. Und schon haben wir wieder das Problem mit der Kreditkarte. Bargeld darf er nicht annehmen. Der Beamte ruft gut gelaunt in den Raum mit den Wartenden, wer denn bereit sei den Touristen auszuhelfen und schon zückt eine Dame bereitwillig ihre Karte. Als ich ihr später mehr Geld geben will als die Gebühr, um mich für ihr Zuvorkommen zu bedanken, lehnt sie vehement ab. Schon wieder gegen den Iran-Knigge verstoßen!
Wir sind mit dem Taxi gekommen und so will ich auch zurück, denn der Weg ins Zentrum ist mir bei der Hitze einfach zu weit. Ein weißer Wagen hält und der Fahrer möchte wissen, wo wir hin wollen. Im Auto die üblichen Fragen und die gleichen Antworten. Als wir das Ziel erreichen will ich bezahlen, aber der Mann will nichts haben. Erst jetzt verstehe ich, dass ich gar nicht im Taxi sitze, sondern im Privatwagen eines netten Iraners, der Lust auf eine Unterhaltung mit Touristen hatte.
Auf der Suche nach einem Baum für Brunos dringende Geschäfte erkunden wir die verwinkelten Gassen aus Lehmbauten und Windtürmen. Hier muss man seine sieben Sinne beisammen haben, um sich nicht zu verlaufen. Als es dunkel wird, der Muezzin ruft und die Moscheen der Umgebung in bunten Farben erstrahlen hat mich die Stadt vollends für sich eingenommen.
Beim Frühstück im „Silk Road“ bricht Peter in Hochgefühl aus, denn es gibt Toast und sogar einen Toaster! Was man auf einer Langzeitreisen so alles vermisst ist schon lustig. Ich zum Beispiel habe sofort die Kaffeemaschine als meine beste Freundin ausgemacht. Natürlich mag ich auch die Bandbreite der hier angebotenen Teesorten, aber für den Effekt brauche ich am Morgen Koffein und das kann der hier übliche Nescafé einfach nicht bieten. Frisch gestärkt mache ich einen dicken Knoten in unseren Schmutzwäschesack der inzwischen dicker ist als der Geschenkebeutel vom Nikolaus. Ich schultere das Ding und laufe zum nächsten Taxistand. Vom Fahrer lasse ich mich bei einer Wäscherei absetzen. Da unsere Möglichkeiten der Kommunikation begrenzt sind rufen wir uns die ganze Fahrt über mit viel Enthusiasmus gegenseitig zu „Iran good, Germany good!“ Peter wurschtelt am Landy und hat derweil Kontakt mit einem Iraner der sich für den Ausbau interessiert. Die Frage „do you have chicken inside?“ (Hast du da Hühner drin?) findet er allerdings irritierend, bis ihm klar wird, dass der Mann eigentlich nach der Küche (englisch: kitchen) fragen will. Die Iraner probieren eben völlig ohne Hemmungen ihre Sprachkenntnisse aus.
Wir verbringen drei volle Tage in Yazd in denen wir (fast) jeden Winkel des Basars erkunden und dabei allerlei Handwerk kennenlernen. Am meisten begeistert mich der Schmied, der hier noch von Hand mit Feuer, Hammerschmiede und Wasserbottich z.B. die Köpfe von Spitzhacken fertigt. Natürlich besuchen wir auch die Moscheen die für Gäste zugänglich sind – Oasen der Ruhe. Die Gläubigen sitzen auf Teppichen am Boden. Das finde ich viel gemütlicher als die meist unbequemen Bänke die ich aus katholischen Kirchen gewohnt bin. Mir fällt auf, dass jede Altersstufe hier vertreten ist. Ich kann natürlich nicht beurteilen, ob sie alle freiwillig hier sind, aber der Unterschied zu unseren überalterten Gottesdiensten ist offenkundig.
Weil auch in Yazd der Besuch eines Gartens nicht fehlen darf, schlendern wir in der Nachmittagssonne zum Dowlat Abad. Hier wird ein riesiger Brunnen von zwei Seiten durch Gebäude begrenzt, eines davon trägt einen sehr hohen Windturm, der für Kühlung sorgt. Die Fenster des achteckigen Baus sind über und über mit bunten Glasscheiben verziert. Die bunten Spiegelungen der Mosaike auf Wänden, Decke und Boden sind künstlerisch. „Der Iran hat viele Farben,“ denke ich.
An diesem Abend gönnen wir uns etwas Besonderes: Das Orient-Hotel hat ein Dachgartenrestaurant. Hier speisen wir, über den bunt angestrahlten Sehenswürdigkeiten der Stadt schwebend. Peter wählt das vegetarische Gericht. Ich kann nicht anders und muss Kamelfleisch probieren. Leider sehr lecker. Wir trinken dazu alkoholfreies Bier, unser Standard seit der Einreise. Es gibt unglaublich viele Varianten davon, sehr viel mehr als bei uns zu Hause. Manche widerlich süß durch Fruchtsaftzusätze, aber anderes ist sehr trinkbar.
Als Verdauungsspaziergang laufen wir zu einem dreigeschossigen Bau, der nachts bunt angestrahlt ist und in keinem Reiseführer fehlt. Auch wenn er aussieht wie eine Moschee, so beherbergt das Gebäude doch Ladenzeilen – die iranische Version einer Mall.
Ich bin mit Fließpulli – die Kapuze tief ins Gesicht gezogen – und Jogginghose bekleidet unterwegs auf dem allmorgendlichen Hundespaziergang zu DEM Baum (wir haben tatsächlich nur einen in laufbarer Entfernung gefunden) für Brunos Morgentoilette. Als ich am Hinterausgang der Freitagsmoschee vorbei in eine der mit Lehmbauten gesäumten Gassen verschwinde pfeift plötzlich jemand hinter mir her. Ich reagiere zunächst nicht, ich bin ja kein Hund. Aber als aus dem Pfeifen ein Rufen wird, drehe ich mich um. Ein Polizist. Er deutet vorwurfsvoll auf Bruno und sagt knapp „dog, no!“ (Keine Hunde hier.) Ich muss den schnippischen Tonfall vehement unterdrücken, als ich ihm erkläre, dass mein Hund nun einmal Bedürfnisse hat. Beschwichtigend füge ich hinzu, dass wir dann direkt wieder zum Hotel zurückkehren. Das besänftigt den Staatsdiener. Uns signalisiert das Zusammentreffen, dass unsere Zeit hier zu Ende geht. Wir packen zusammen, verabschieden uns von der Gemeinschaft der Reisenden aus Deutschland, der Schweiz und Holland – die sich inzwischen hier auf dem Parkplatz versammelt hat – und ziehen weiter in Richtung Wüste.
Anders als in der Lut weiter südlich, darf man die Dasht-e-Kavir bereisen, ohne einen Führer oder eine Tour zu buchen. Unsere erste Nacht verbringen wir in den südlichen Ausläufern, in denen die Landschaft zwar schon karg ist aber eher felsig als sandig. Wir verschwinden zwischen ein paar Hügeln und freuen uns, dem Dies entronnen zu sein, der uns über weite Teile der Reise durch den Iran bisher begleitet hat. Bruno kann das Glück der Freiheit gar nicht fassen und hinterlässt vor lauter Freude unzählige Kringel im staubigen Boden. Wir bestaunen den Sternenhimmel an dem sich zu späterer Stunde auch die Milchstraße abzeichnet.
Am nächsten Tag geht es zunächst an der Bahnlinie entlang. Wir fahren mit den Güterzügen um die Wette, die hier unglaublich lang sind. Erinnerungen an Mauretanien werden wach.
Dann die ersten Sanddünen. Wie lange haben wir beide das schon nicht mehr gesehen! Die endlos scheinende Wüste wird von der schnurgeraden Teerstraße in zwei Hälften geteilt. Wir parken am Straßenrand, Bruno macht es sich im Schatten unter dem Auto gemütlich und wir erkunden zu Fuß die nächstliegenden Dünen. Dann eine Oase mit Palmen und wenigen Lehmhütten. Es kommt uns ein kleiner Junge – auf einem Motorrad! – entgegen. Der einzige andere Verkehrsteilnehmer am heutigen Tag. Gegen Nachmittag erreichen wir die Oase Garmeh. Wir suchen uns einen Platz außerhalb des Dorfes, was gar nicht so einfach ist. Peter entdeckt in einem ausgewaschenen, ehemaligen Palmenhain ein tolles Plätzchen. Landy verkriecht sich in den Schatten des einzig verbliebenen Strauchs weit und breit. Wir erklimmen den Hügel und haben eine gigantische Aussicht in die Weite der Dasht-e-Kavir. Am Abend dann das seit langem erste Lagerfeuer. Wir schauen in die Flammen, Bruno in die Dunkelheit aus der allerhand Gerüche an seine Nase dringen. Er ist offenbar mit der Welt wieder versöhnt. Zum Ruf der Schakale schlafen wir ein.
Frühstücksfernsehen ist Wüstenlandschaft. Ich muss mich zwicken, um das für real zu halten. Wir statten heute Garmeh einen Besuch ab. Landy hat seine liebe Not auf den schmalen Pfaden durch den Palmenhain vorwärts zu kommen. Wir halten an der Quelle. Hier bestaune ich Granatapfelpflanzen. Die Granatäpfel sehen aus wie Weihnachtskugeln am Christbaum und sie schmecken sehr viel aromatischer als bei uns zu Hause. Eine Hundertschaft Iraner watet bereits knietief im Wasser. Klar, Freitag, Feiertag!
Auf der weiteren Route begegnen wir mehrfach weißen und braunen Kamelen. Sie sind hier meist unbegleitet unterwegs, tauchen aus dem Nichts auf und verschmelzen mit der Landschaft die an uns vorbeizieht. Am Nachmittag verlassen wir die Teerstraße und biegen zu den hier aufragenden Sanddünen ab. Peter reduziert die Luft in unseren Reifen auf unter 1 bar und dann beginnt der Fahrspaß. Er hat sichtlich Freude am Dünen-Surfen. Schon bald ist der perfekte Übernachtungsplatz gefunden. Selfie-Time! Nur dass uns dabei leider die Kamera nach vorne wegkippt und dabei jede Menge Sand frisst. Sie ist danach im wahrsten Sinne des Wortes zerknirscht, das Zoomen von unangenehmen Geräuschen begleitet. Wir erklimmen die Dünen und genießen den Sonnenuntergang. Heute kann nichts unsere gute Laune trüben, nicht einmal das Durcheinander aus Pistazien in Gurkensaft, das durch unsere Vorratskiste schwappt.
Als wir dieses Paradies wieder verlassen kommt uns ein PKW mit 4 jungen Männern entgegen, alle im Militär-Look, einer mit Kamera und riesigem Objektiv. Wir sind misstrauisch als sie uns bedeuten anzuhalten. Der „Kameramann“ zückt ein Buch und hält es Peter unter die Nase. „Habt ihr eine dieser endemischen Vogelarten hier gesehen?“ Ornithologen in der Wüste, ich kann´s nicht fassen!
Wir haben inzwischen wieder Teer unter den Rädern und sind auf der Suche nach einem Übernachtungsplatz. Der erste Versuch ist eine Sackgasse, Bergbaugebiet. Der Iran ist reich an Bodenschätzen. Hier gibt es nicht nur Öl, sondern auch Gold, Silber, Kupfer, Zink und Eisen. An einem Tor bewacht von Sicherheitspersonal geht es für uns nicht mehr weiter. Zurück zur Hauptstraße und hinter dem Militärstützpunkt wieder in die Weite der Wüste. Wenn Straßen so schnurgerade sind, wird schon die Kurve zum Ereignis. Hinter dieser Kurve wartet nach einer Unterführung eine Überraschung: Wir sehen einen Land Rover. Auf der Motorhaube sitzt eine junge Dame im Hijab. Ihr Vater (so unsere Vermutung) steht daneben. Beide schauen in die untergehende Abendsonne. Um das Auto springt ein Schäferhund. Das müssen seelenverwandte Iraner sein. Wir halten an und freuen uns, dass sie englisch sprechen. Nach kurzem Small-Talk schlägt der Herr ein Selfie vor. Das ist mal eines, an dem wir selbst interessiert sind. Peter steigt aus. Ein Fehler wie sich sofort herausstellt, denn der Schäferhund geht umgehend auf ihn los. Seine Taktik „anbrüllen“ wirkt dabei nur begrenzt. Er erwischt ihn am Zeigefinger der linken Hand. Mit einem Satz ist Peter wieder auf dem Fahrersitz und flucht was das Zeug hält. Kein Wunder, er hat eine klaffende Wunde die ziemlich blutet. Wir entfernen uns ohne ein weiteres Wort, finden eine verlassene Karawanserei an der wir Camp aufschlagen und haben den Finger verarztet, bevor die Dunkelheit der Nacht uns vollends einhüllt. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass es dem Finger heute wieder gut geht, wenn der Iran an dieser Stelle auch eine Narbe hinterlässt.
Wir müssen unsere Vorräte aufstocken, also laufen wir den kleinen Ort Zavareh an. Wir haben Glück, es ist Markttag. Händler verkaufen Kräuter in riesigen Bündeln, ein Lastwagen hat seine Ladung Gurken auf den Boden entleert, davor kauern unzählige Frauen im Schador in der Hocke, um die für sie besten Exemplare auszuwählen. Dies ist eine der Szenen, die es mir ermöglichen den Finger darauf legen, was im Iran anders ist: Die dominante Farbe auf diesem Markt ist schwarz und obwohl die Frauen sich unterhalten, herrscht hier so etwas wie geschäftige Stille. Als wir in unseren orangefarbenen Oberteilen den Platz durchqueren drehen sich sämtliche Köpfe nach uns um.
Im Gemischtwarenladen nebenan will ich Milch besorgen. Der Kassierer jedoch weigert sich mir die Flasche zu verkaufen. Ich schaue mich hilfesuchend um, bis eine der umstehenden Frauen auf das Verfallsdatum zeigt: 27.07.1398. Ja der Termin ist definitiv vorbei, hier allerdings erst seit ein paar Tagen. Der Iran ist wirklich aus der Zeit gefallen!
Wir schwenken gen Norden. Die größere Stadt Kashan liegt auf der Route und so buchen wir uns einmal mehr für eine Nacht in ein Hotel ein. Der Landy parkt im Innenhof und Buno hat Katzenkino. Der Basar trägt fast kathedrale Züge und seine Deckenfresken und Türverzierungen werden von uns in zahllosen Fotos verewigt. Das besondere sind die Innenhöfe mit Garten, die rechts und links der vielen Gänge abzweigen. Dort wo die Gänge aufeinandertreffen sind kreisförmig Geschäfte angeordnet und in der Mitte sprudelt ein Brunnen. Von der Decke hängen Fahnen. Wir sind so fasziniert, dass wir nicht einmal die hereinbrechende Dunkelheit bemerken. Direkt vom Bazar gelangt man auf den Vorplatz der Moschee. Hier ruft gerade der Muezzin und zwar persönlich. Wir können ihm sogar durch die geöffnete Tür zusehen. Auch in das Innere der Moschee können wir einen Blick erhaschen: Ein immenser Spiegelsaal spiegelt die Silhouetten der Gläubigen tausendfach wider. Von der Decke hängt ein Kristall-Lüster.
Wir tanken. Der Preis hat sich in den letzten 30 Tagen für uns verfünffacht. Da es sich nur um Centbeträge handelt, wäre das keiner Erwähnung wert. Wir begreifen allerdings im Nachhinein, dass wir damit bereits Zeuge der Rationierung des Treibstoffs und dem damit verbundenen Preisanstiegs wurden.
Der erste Regen! Die anderen Fahrzeuge auf der gebührenpflichtigen Autobahn sind fast ausnahmslos LKW. Peter muss sich konzentrieren, um bei der ölverschmierten Straße keinen Fahrfehler zu begehen. Die erste Mautstelle. Der Kassierer schmettert uns ein fröhliches „no pay, welcome to Iran!“ entgegen. Als Gäste zahlen wir hier nichts. Ich lasse die Landschaft an mir vorbeiziehen. Die roten Felsen leuchten vor dem Hintergrund der dunklen Gewitterwolken, während im Vordergrund die Gräser vom Sonnenlicht golden leuchten. Ein 180 Grad Regenbogen entsteht. Der Iran und seine vielen Farben läuten den Abschied ein.
Tabriz ist unsere letzte Station vor dem Grenzübergang. Die Straßen sind hier für große Fahrzeuge recht eng. An einer Kreuzung halten wir vor roter Ampel. Ein Linienbus biegt um die Ecke und der Fahrer muss ganz schön zirkeln, um nicht mit entgegenkommenden PKWs zusammenzustoßen. Trotzdem findet er noch Zeit um zu winken und uns ein fröhliches „Hallo! Willkommen im Iran!“ zuzurufen. Ich mache den Versuch mir vorzustellen wie die gleiche Szene bei uns zu Hause verlaufen würde. Nein, eigentlich lieber nicht. Wir tauchen ein letztes Mal ein in die Geschäftigkeit eines iranischen Basars und diesmal lassen wir uns hinwegspülen – tauchen erst Stunden später mit den Armen voller Stoffe wieder auf.
In Maku fahren wir über die Grenze zur Türkei. Schon von weitem begrüßt uns der Ararat in voller Pracht. Von hier sieht er noch größer und mächtiger aus, als von Armenien. Wir sind gut vorbereitet, haben Kopien unserer Pässe und unseres Carnet de Passage dabei, haben gut gefrühstückt und uns darauf eingestellt, dass das hier länger dauern wird. Wir haben erneut einen Freitag gewählt. Diesmal allerdings reihen wir uns ein in eine lange Schlange wartender IranerInnen, die sich eine Auszeit in der Türkei gönnen. Peter marschiert schnurstracks zum Gebäude in dem wir die Petrol Tax entrichten müssen. Diese wird von allen erhoben, auch Iranern und richtet sich nach dem Fahrzeugtyp. Weil der Beamte den Land Rover in seinem System nicht finden kann, reisen wir „steuertechnisch“ als Kia Sorento aus. Die Prozedur ist langwierig und nicht leicht zu verstehen. Peter freut sich über das Hilfsangebot junger, hipper Iranerinnen, die in der Warteschlange vor ihm sind. Er kommt im Laufe der nächsten Stunde mit fast allen ins Gespräch die hier auf die Ausreise in die Türkei warten. Ich derweil bleibe im Landy und fahre den Wagen schrittweise in Richtung Schranke. Als ich vorne ankomme werde ich von einem Grenzbeamten angewiesen zu parken. Streng guckt er, aber nach einer Weile kommt er mit herrlich gekühltem Wasser zurück. Ich lehne bestimmt zehn Mal ab, aber irgendwann legt er es mir durch das Fenster einfach in den Schoß. Beim nächsten Mal hat er Oliven dabei. Gefolgt von Kuchen und Schokoriegeln. Jedes Mal zwinkert er mir konspirativ zu. Inzwischen lache ich nur noch schicksalsergeben. Ich hoffe, dass Peter da bald raus kommt, sonst kann ich einen Laden eröffnen. Na endlich! Jetzt geht´s für uns beide zur Passkontrolle. Wir zeigen unsere Visablätter vor und der Beamte kassiert sie ein. Schade, die hätte ich als Andenken gerne behalten. Jetzt geht es zurück zum Auto. Zehn Meter weiter wartet die türkische Grenze. Wir stehen mit den gleichen Iranern in der Warteschlange für die Passkontrolle. Die Frau des Messebauers der schon in Köln war verteilt Äpfel, natürlich auch an uns. Die beiden jungen Iranerinnen sind schon durch, sie warten auf der anderen Seite des Zauns und haben ihre Kopftücher bereits abgelegt. Sie lächeln Peter wissend an, er deutet auf seine langen Hosen, die er sehr bald ablegen kann und sie lachen. Ja, Kleiderzwang ist eine Form der Unterdrückung!
Die türkische Fahrzeugkontrolle ist deutlich harmloser als uns gesagt wurde. Vielleicht liegt es am Freitag, dass wir von der Röntgenuntersuchung verschont bleiben. Der Beamte der Brunos Pass studiert freut sich, dass der Hund auf seinen Namen tatsächlich reagiert. Er schenkt uns bereits geschälte Mandarinen.
Wir passieren die Schranke und auf der anderen Seite stehen wie für eine finale Filmszene arrangiert alle Iraner, die wir hier an der Grenze kennengelernt haben. Aus allen Richtungen winken sie uns zu, freuen sich, dass wir nach nur 3 Stunden die Formalitäten überstanden haben und wünschen uns eine gute Weiterreise. Täuschen wir uns oder wirken sie befreit?
Wir schauen uns an und fragen uns für einen Moment, ob wir die richtige Entscheidung getroffen haben. Auch einige von Euch werden sich das fragen: Wieso Türkei? Wolltet ihr nicht in den Oman? Auf diese Fragen hält der nächste Blogbeitrag Antworten bereit. ;o)
Wer noch Lust auf weitere Bilder hat: Hier geht´s zur Bildergalerie.
Und den Iran im Video findet ihr hier.
2 Comments
Ein sehr authentischer Bericht! Das mulmige Bauchgefühl und die innere Rebellion gegen die Diskriminierung der Frauen kann ich sehr gut nachfühlen. Das ging mir auch so. Gute Reise!
Danke liebe Nora! Wie ich sehe seid ihr auch gut herumgekommen trotz der Hürde ohne eigenem Fahrzeug unterwegs zu sein. Respekt!