Harte Kerle und weiche Wellen

Wir sitzen im Park Hotel in Shiraz (Iran) auf Plastikstühlen beim Frühstück. Im Hintergrund dudelt Fahrstuhlmusik. Es ist Zeit für eine Entscheidung. Schon seit einer ganzen Weile grübeln wir darüber nach, ob wir an unserem ursprünglichen Plan festhalten oder ob wir die Route über den Haufen werfen. Konkret heißt das: Fahren wir weiter in Richtung Bandar Abbas, um über die Vereinigten Arabischen Emirate in den Oman einzureisen, oder erklären wir Shiraz zum südlichsten Punkt der Autowanderer Tour 2019 und drehen ab in Richtung Wüste Dasht-e-Kavir?

Fakt ist, ich vertrage die Hitze weit schlechter als zu Zeiten meiner Afrika-Reisen. Es nervt mich in einem Maße, das nicht zu ignorieren ist. Bruno geht´s nicht besser. Peter macht sich Gedanken über den Rückweg. Wenn wir im Winter über die Türkei oder Armenien ausreisen erwarten uns dort Pässe um 3000 Meter Höhe mit Eis und Schnee. Darüber haben wir bei der Reiseplanung nicht nachgedacht.

Wollen wir auf dem Rückweg den Iran noch einmal in voller Länge durchqueren? Bekommen wir ein Visum, wo es schon beim ersten Mal so kompliziert war? Sind die politischen Verhältnisse stabil genug? Was machen wir, wenn nicht?

Als die letzten Akkorde von „up, up and away“ verklungen sind haben wir unsere Entscheidung getroffen: Wir reisen in die Türkei aus. Wie sich herausstellen wird ein guter Plan, denn schon kurze Zeit nach unserer Ausreise lösen Massenproteste im Iran ein hartes Durchgreifen der Regierung aus. In wenigen Wochen werden über 300 Menschen getötet. Ganz zu schweigen von den Auseinandersetzungen mit den USA, die durch die Ermordung Soleimanis an Schärfe zunehmen.

Anatolien

Doch zunächst haben wir ein anderes Problem: Erdogan gibt wenige Tage nach unserer Entscheidung den Befehl zum Einmarsch in Nordsyrien. Das Auswärtige Amt rät von Reisen in die kurdischen Gebiete der Türkei ab. Die Türkei selbst sperrt vorsorglich den Berg Ararat für Besteigungen. Anschläge der Kurden werden befürchtet. Diese Angst ist für uns am Tag des Grenzübertritts spürbar. Wir sind im Schatten des Ararat in der Nähe der Stadt Dogubayazit eingereist und fahren nun durch Nordostanatolien – Kurdengebiet. Alle 20 Kilometer empfängt uns ein Kontrollposten des Militärs. Männer in schusssicheren Westen, Gewehr im Anschlag, hinter schusssicheren Barrikaden, wollen unsere Pässe sehen. Meist steht dort auch ein Panzer oder zumindest ein gepanzertes Fahrzeug (Otocar Land Rover – Das zornige Brüderchen unserer Ambulanz). Wir entschließen uns, diesen Teil der Türkei rasch hinter uns zu bringen. Gleich am ersten Tag geraten wir dabei in einem Militärkonvoi: Ein halbes Dutzend Busse – die Insassen allesamt Soldaten in Uniform – bewegt sich auf der Schnellstraße gen Westen. Etwa die Hälfte hat uns bereits überholt, als der Tross plötzlich langsamer wird. Das finden wir nicht lustig, denn wenn es Anschläge geben sollte, dann wäre diese Polonaise ein Ziel das sich geradezu anbietet. Wie sich herausstellt, hat man auf einen Panzer gewartet der die Jungs begleiten soll, ein funkelnagelneues Modell. Wir biegen in den nächsten Feldweg ab und lassen dem Konvoi jede Menge Vorsprung.

Wauzel schaut in die anatolische Weite

Die Landschaft wird von Farmland dominiert. Die Bauernhäuser sprechen davon, wie arm die Bewohner sind, aber die Höfe sind sehr ordentlich aufgeräumt. Die Gegend ist sehr wasserreich. Ich bin trotzdem erstaunt hier Wasserbüffel zu sehen. Am Straßenrand haben Bauern ihre Verkaufsstände aufgebaut. Es ist die Zeit des Kohls. Hier sind die Köpfe so groß wie Lastwagenräder.

Kohlköpfe so groß wie Wagenräder

Kurz vor Erzurum schlagen wir unser erstes Camp auf. Wir haben auf einem Hügel abseits der Straße ein feines Plätzchen gefunden. Unsere Nachbarn sind Schaf- und Rinderherden. Wir genießen den wundervollen Ausblick auf einen Berg, der uns an den Kazbegi in Georgien erinnert. Schade, dass die Kurdengebiete unruhig sind. Wir würden uns das alles so gerne in Ruhe ansehen.

Unterwegs in Nordostanatolien

Am Wasserfall von Girlevik macht Peter ein paar Wartungsarbeiten am Landy. Für die Anwohner sieht das offenbar so aus als hätten wir ein Problem. Ein älterer Herr fasst sich schließlich ein Herz und fragt, ob wir Hilfe brauchen. Er telefoniert sogar mit seiner Tochter, die Englisch spricht, um herauszufinden was los ist. Ich kann sie nur mit Mühe davon abhalten mit dem Auto aus der nächsten Stadt anzureisen, um uns zu begrüßen. Hier sind wir wirklich willkommen.

Wasserfall von Girlevik

Nahe Sivas legen wir den nächsten Zwischenstopp ein. Hier gibt es einen idyllischen See mit Enten und Reihern, eingerahmt von einem Schilfgürtel und eingebettet in hügelige Landschaft. Wir essen leckeren Fisch in einem Restaurant mit Blick auf den Sonnenuntergang und schlagen uns dann in die Büsche zur Übernachtung. Ich hatte keine Ahnung, dass die Türkei auch diese Seite hat. Man liest viel über Istanbul, die Moscheen und Basare aber abseits davon liegen vielfältige Naturschätze, die wir nun erkunden.

Das salzige Auge

Wo LKW-Fahrer essen muss es gut sein. Peter steuert den Landy an die Tankstelle mit vielen parkenden Fahrzeugen. Wir haben die Wahl zwischen zwei Suppen, vier Hautgerichten und zwei Nachspeisen. Wir nehmen (fasst) alles. Die Servicekraft verrät mir das Passwort für ihr WLAN und zum ersten Mal seit langem erhalte ich wieder Meldungen aller meiner Kanäle. Im Iran sind außer Instagram alle Social Media Plattformen gesperrt und die lokale Telefonkarte gilt (zumindest für Gäste) nur maximal 30 Tage, danach ist man offline. Das „Pling, Pling“ meines IPhones will gar kein Ende nehmen. Die Nachrichtensperre ist beendet! Das Tanken macht jetzt allerdings keinen Spaß mehr. Für 80 Liter hätten wir im Iran 6 Euro gezahlt, hier kostet es mehr als das Zehnfache.

Sehr genaue Geschwindigkeitsangaben

Kappadokien

Von Osten kommend fahren wir an der Großstadt Kayzeri vorbei. Wir sind schaurig fasziniert über die enormen Bautätigkeiten. Hier entstehen ganze Satellitenstädte mit eigener Infrastruktur, aber von den Hochhäusern sieht eines aussieht wie das andere. Wir denken jedenfalls, dass von der Planung bis zur Realisierung hierzulande nicht Jahre vergehen wie bei uns.

Welches Sparschwein darf´s denn sein? In vielen Orten gibt es Geld nur an Bankautomaten, die allerdings zahlreich vorhanden sind.

Dann erreichen wir den Göreme-Nationalpark in Kappadokien. Die Landschaft aus Feenkaminen, Säulen, Pyramiden und Tälern wurde durch einen Vulkanausbruch geformt und gleicht einem Gemälde. Die Byzantiner haben Kirchen, unterirdische Städte und Höhlenkomplexe für tausende von Menschen hier in den Fels gehauen. Wir parken am Rande dieses Naturschauspiels buchstäblich am Abhang. So können wir die Gänge, Höhlensysteme und Feenkamin-Kirchen gut zu Fuß erkunden. Es geht entlang enger Pfade, über Metallleitern hinweg und durch Tunnels. Die Formationen regen unsere Fantasie an und wir entdecken allerhand Fabelwesen in den steinernen Stelen und Feenkaminen. Unterwegs treffen wir auf zwei sehr niedliche Kangal-Welpen, aber Peter hält mich dazu an sie zu ignorieren, damit sie uns nicht nachlaufen. Ist auch besser so, denn ich hätte diese zwei Puschel wahrscheinlich sofort adoptiert, aber Kangals sind Kulturgut und dürfen nicht ausgeführt werden. Ganz abgesehen davon, dass Bruno wohl nur wenig Verständnis hätte. Wir kommen an unzähligen Taubenwohnungen vorbei. Ihr Kot wird als Dünger verwendet. Immer wenn sich die engen Pfade weiten, werden die Freiflächen zum Anbau von Wein, Obst und Nüssen genutzt. Was für ein Schlaraffenland!

Kappadokiens Wichtel

Feenkamin als Kirche

Immer im Einsatz

Als wir aus diesem Labyrinth wieder auftauchen geht die Sonne gerade unter. Ich genehmige mir einen kleinen Schluck Weißwein, den ersten seit 6 Wochen. Dann neigt sich die Mondsichel über die Festung von Uchisar.

Monduntergang über Uchisar

Für viele Besucher ist der Höhepunkt des Besuches im Nationalpark eine Fahrt im Heißluftballon, bei der sie diese bizarre Landschaft von oben sehen können. Für uns ist das Highlight, diesen Massen-Ballonstart bei Sonnenaufgang hautnah mitzuerleben. Etwa 100 Ballons steigen mehr oder minder gleichzeitig in die Höhe. Sie tanzen vor uns über die Feenkamine, lassen sich in das Labyrinth fallen und tauchen an anderer Stelle wieder auf. Während dieses Spektakels leuchten die bunten Ballons am Himmel im Rhythmus der Gasbrenner wechselweise auf wie Glühbirnen. Die Touristen in den Körben rufen uns einen fröhlichen guten Morgen zu. Auch sie haben ihren Spaß. Wir filmen und fotografieren bis alle Batterien den Geist aufgeben.

Ballonstart vor Sonnenaufgang

Hundert Ballons an einem Tag

Logenplatz um den Ballonflug zu verfolgen.

Zur Bildergalerie Kappadokien geht´s hier.

Die bewegten Glühbirnen sind in diesem Video zu sehen.

Mittelmeerküste

Wir wenden uns weiter gen Süden und erreichen so die türkische Mittelmeerküste. Zunächst präsentiert sie sich, wie ich sie in Erinnerung habe, mit Bettenburgen für Pauschaltouristen. Aber schon bei Silifke wird die Landschaft lieblicher und die Hotelkomplexe weichen einer grünen Küstenlinie mit Pinienbewuchs. Hier gibt es einen kleinen, gepflegten Campingplatz mit Kieselstrand. Für uns ein Volltreffer, denn hier kann Bruno seit langem einmal wieder einen Strandspaziergang ohne Leine machen. Das hat er so vermisst! Ich hingegen hüpfe am Morgen in aller Frühe in den Badeanzug und bin genau in dem Moment im Wasser, als die Sonne über dem Horizont erscheint. So früh war ich noch nie im Meer. Ich schwimme und kann vom Anblick des roten Feuerballs gar nicht genug bekommen. Ja, frau kann auch mit über 50 noch vor Vergnügen quietschen wie ein kleines Kind.

Zum ersten Mal mit dem Sonnenaufgang im Meer

Der nächste Küstenabschnitt ist geprägt vom Anblick zahlloser Gewächshäuser für Gemüse und Obst. Hier werden selbst Bananenstauden in Massen kultiviert – alles unter Plastik. Dieses „mare el plastico“ (Meer von Plastik, weil die Oberfläche von der Entfernung tatsächlich glitzert wie was Meer) ist sinnbildlich für unsere Zeit. Wir wollen das volle Angebot zu günstigen Preisen, egal wo es herkommt und wie es wächst. Den Bauern hier ist es nicht zu verdenken, dass sie diesen Bedarf bedienen. Aber bei der Vorstellung an die Abfallberge die diese Art der Landwirtschaft produziert muss ich unweigerlich an Greta Thunberg denken und nehme mir vor in Zukunft bewusster einzukaufen.

Am Fuße eines pinienbewachsenen Hügels mehrere hundert Meter unter uns liegt eine Bucht. Sie ist über eine Piste erreichbar. Am Ende erwartet uns ein Sandstrand der von Felsen begrenzt wird. In die Einschnitte können wir uns für die Nacht gut zurückziehen. Leider reicht der Schwung des Landy nicht ganz bis ans auserwählte Ziel, so dass wir noch Luft ablassen müssen. Zur Entschädigung gibt es einen 1A Sonnenuntergang.

Einsame Strände am türkischen Mittelmeer

Ich denke das Meer weckt bei mir Urinstinkte. Ich schlafe tief, traumlos und sehr lange. Das Bad im Meer ersetzt die Dusche. Dann arbeitet sich der Landy über die Serpentinen wieder nach oben.

Waschtag ist Campingplatztag. Wir haben uns einen Paradiesgarten ausgesucht mit vielen blühenden Blumen, der entpuppt sich leider aber auch als Zoo. Bruno ist völlig fassungslos über die Hühner die aus seinem Napf trinken und die Katzen würde er nur zu gerne gleich zwischen zwei Brotscheiben klemmen. Hier klemmt so einiges, auch die Tür der Waschmaschine. Der Hausherr ist völlig ratlos und ruft nach seiner Frau. Diese versetzt dem Schließmechanismus einen geübten Handkantenschlag und die Maschine kapituliert. Wir lachen beide, bis uns die Tränen kommen.

Westlich von Antalya entdecken wir eine Piste entlang der Küste mit abgelegenen Strandparadiesen, die uns für Tage in ihren Bann ziehen. Hier kommt wirklich nur her wer über ein 4×4 Fahrzeug verfügt, denn die Piste ist ausgewaschen, teils sehr steinig, führt steil bergan und steil bergab und immer an der Kante entlang mit wunderschönen Ausblicken auf das Mittelmeer. Als wir die Strände sehen wird klar, warum dieses Paradies nie geteert wurde. Die Strände werden von den Meeresschildkröten genutzt, um ihre Eier abzulegen. Im Moment ist keine Saison, so können wir im Schatten der Bäumen im Sand direkt neben Frischwasserquellen unser Camp aufschlagen und Robinson und Freitag spielen, bis uns die Essensvorräte ausgehen. Peter verbringt allerdings mehrere Stunden damit Zigarettenstummel aus dem Sand zu fischen, die Besucher hier zurückgelassen haben. Bruno fängt derweil Frösche im benachbarten Tümpel. Dem kundigen Wanderer ist diese Route übrigens als der lykische Weg bekannt. Für uns geht es dann auch nach ca. 20 Kilometern tatsächlich nicht mehr weiter, denn das was einst Piste war eignet sich nur noch für Fußgänger.

Schildkrötenstrand am lykischen Wanderweg

Zeit unseren Wassertank aufzufüllen. Als wir an einem Brunnen unsere Schläuche ausbreiten kommt ein Türke auf dem Elektromotorrad (!) vorbei und interessiert sich für unsere Tour. Kurz nachdem er sich verabschiedet hat ist er auch schon wieder zurück und übergibt uns warme Fladen mit Kräutern und Käse. „Viel Spaß in der Türkei!“ Ich komme über diese spontanen Akte der Gastfreundschaft nicht hinweg. Unnötig sich die gleiche Szene in Deutschland vorzustellen.

Andriake hat es uns besonders angetan. Auf der Landkarte findet man dieses winzige Dorf mit kleinem Hafen das zwischen antiken Stadtresten in einer Bucht versteckt liegt kaum. Ein Bach fließt hier ins Meer. Auf seinen grünen Ufern weiden Schafe, Ziegen und Pferde. Da die Bootssaison zu Ende geht, stehen viele der Gület (Holzjachten – für deren Herstellung die Türkei bekannt ist) schon auf Stelzen im Hafengelände. Die letzten Exemplare werden gerade geborgen. Der Baggerfahrer, der die Kähne an einem Seil aus dem Wasser zieht, kommt ganz schön ins Schwitzen, denn sein Arbeitsgerät beißt sich am Gewicht der Boote fasst die Zähne aus. Er hoppelt sich Zentimeter für Zentimeter rückwärts. Ein Spektakel, bei dem alle zusehen.

Der Hafen von Andriake

Meeresschildkröte

Wir sind wieder einmal auf einem Camp untergekommen. Dieses liegt unterhalb einer Felswand. Ich hatte mich sehr auf eine heiße Dusche gefreut. Allerdings wird die Wasseranlage mit Solarstrom versorgt und da es die gute Sonne im Winterhalbjahr nie über die Felswand schafft ist die Erfahrung eher ernüchternd. Als Trostpflaster werde ich zum Fischessen eingeladen. Meeresfisch, frisch zubereitet, hmmm! Wir trauen unseren Augen nicht, als neben unserem Tisch im Fluss eine Meeresschildkröte auftaucht und wie zur Begrüßung ein paar Runden dreht. Später sehen wir im Hafenbecken sogar noch einen Manta-Rochen.

Das ist Peter dann doch zu dreist

Mittagessen mit vielen Zuschauern

Tierliebe auf türkisch

In Kaleköy erklettern wir die Ruinen der antiken Stadt Simena. Sie liegt auf einem Hügel und ist zu drei Viertel von Meer umgeben aus dem unterschiedlich große vorgelagerte Inseln herauslugen. Das Land ist mit uralten Olivenbäumen bewachsen an die sich lykische Grabmäler anlehnen. Diese verteilen sich über den gesamten Hügel. Den schönsten Blick, auch auf die Reste der versunkenen Stadt vor dem Hafen, hat man von der Kreuzritterfestung aus, die auf der Spitze des Berges thront. Zumindest zu dieser ruhigen Jahreszeit ein magischer Ort.

Ruinen der antiken Stadt Simena

Für die Übernachtung tauschen wir ungewollt die Magie gegen Halli-Galli. Am riesigen Strand von Cayagzi ist bei unserer Ankunft ziemlich viel los. Hier lernen wir heute ein Phänomen kennen, das uns später noch häufiger begegnen wird. Junge türkische Hochzeitspaare lieben offenbar nichts mehr als die Romantik der über dem Meer versinkenden Sonne als Fotomotiv. Da steht die Braut im Hochzeitskleid im weiß sprudelnden Meeressaum vor der orangenen Scheibe, um sie herum ein Fotograf und ein Beleuchter. Der Ehegatte steht einige Meter entfernt von ihr und bewegt sich auf Kommando fast in Zeitlupe auf sie zu. Schnitt – Kleid aus dem Wasser heben – Sand abschütteln – Ehepaar neu postieren – und von vorne. Der Fotograf ist professionell gelassen, obwohl ihm für die perfekte Einstellung nicht viel Zeit bleibt. Das Naturspektakel kann auf Erdlinge keine Rücksicht nehmen, die Sonne ist in wenigen Minuten hinter dem Horizont verschwunden – und mit ihr die Hochzeitspaare samt ihrer Entourage. Wir sind für die Nacht alleine.

Hochzeitspaare im Sonnenuntergang – ein sehr begehrtes Fotomotiv

Wir sind unterwegs ins Schmetterlingstal. Um uns herum Kulturland, hauptsächlich Olivenanbau. Allerdings macht es die Natur den Menschen hier nicht leicht. Erstens sind die Felder oft sehr steil an Abbruchkanten zum Meer hin gelegen. Zweitens sind die Felder übersäht mit Steinen, die erst einmal beiseite geschafft werden müssen. Hier dienen sie der Grenzbefestigung zwischen den Grundstücken und verleihen dem Kulturland seinen einzigartigen Ausdruck. Die Felder sind sehr gepflegt. Es ist offensichtlich, dass die Landwirte hier sehr hart arbeiten.

Das Schmetterlingstal selbst ist in den Fels geformt wie ein V. Vom Aussichtspukt geht es kerzengerade über mehrere hundert Meter nach unten ohne jede Absperrung. Zur offenen Seite des V-Ausschnitts hin liegt ein blütenweißer Sandstrand. Zu dieser Jahreszeit ist er menschenleer, ist aber mit dem Auto nicht erreichbar. Daher entscheiden wir uns für die Höhenlage. Wir erklimmen den angrenzenden Hügel mit Pinienbewuchs. Hier gibt es jede Menge ebene Stellplätze. Diese sind allerdings schon bewohnt, von Bienenvölkern. Sie werden in bunten Kästen gehalten. Der reine Pinienhonig den sie produzieren ist lecker – wie wir später selbst testen können. Eine Freifläche ist bereits vorbereitet aber noch leerstehend. Hier postieren wir uns. Einer der schönsten Übernachtungsplätze der Autowanderer-Tour! Der Sonnenuntergang ist pures Kino und das Meer liegt da wie ein silberner Teppich.

Bruno verhält sich merkwürdig, irgendwie gestresst, als hätte er genug vom Reisen. Wir legen in einem Camp nahe Fethiye eine Pause ein. Dieses Paradies am Meer gehört einem alten türkischen Ehepaar. Sie leben sehr bescheiden in Zuständen die wir wohl als chaotisch bezeichnen würden. Alles liegt durcheinander und dazwischen springen, Hunde, Katzen und Hühner. Sie freuen sich sichtlich uns als Gäste zu begrüßen. Um diese Jahreszeit kommen nicht viele. Wir werden beschenkt mit Mandarinen und Eiern. Ich brauche eine Weile, um zu realisieren dass es ihm nicht sehr gut geht. Er hat an beiden Armen keine Hände mehr und verbringt viel Zeit in der Hängematte. Seine Frau arbeitet für zwei. Wie das Leben spielt, befindet sich nur ein paar Kilometer weiter ein kleines Nest in dem die Yachten der Reichen und Schönen vor Anker liegen. Auch Rod Stewart soll hier sein Boot haben. Hat ihn dieser Ort zu „I am sailing“ inspiriert? Der Hafen ist durch Schlagbaum gesichert. Das Warenangebot im Supermarkt hält alles bereit was wir definitiv nicht brauchen. Nix wie weiter…

Versteckt im Wald bei Dalyan – Brunos Spielwiese

Das Fischerdorf Dalyan hingegen ist uns sofort sympathisch. Hier wollen wir Pause machen, denn Bruno hat genug von ständiger Veränderung, gestörten Ritualen und auch genug davon, dass Natur nur an ihm vorbeifliegt. Er will endlich spielen. (So interpretiere ich das zumindest mal ganz laienhaft.) Wir parken oberhalb eines langen Sandstrands versteckt im Wald und Bruno kann nach Herzenslust herumspringen und schnuffeln.

Zurück in der Stadt campieren wir einfach auf dem Parkplatz am Fluss, der hier sehr breit ins Meer übergeht. Vor uns liegen unzählige Boote vor Anker, die im Sommer Touristen zu den lykischen Felsengräbern fahren, welche hier – am Zusammenfluss von Süß- und Salzwasser – hoch in den Felsen geschlagen sind. Die riesigen verzierten Fronten sind schon von weitem zu erkennen.

Lykische Felsengräber bei Dalyan

Am Morgen werden wir vom Geräusch zahlreicher Motorsägen geweckt. Die Bäume über unseren Köpfen werden beschnitten. Das sandfarbene Landy-Brüderchen das neben uns parkte haben die Arbeiter kurzerhand auf die andere Seite des Gehwegs geschoben. Damit uns nicht das gleiche Schicksal widerfährt räumen wir freiwillig das Feld. Danach gehen wir frühstücken. Eine Seltenheit bei den Autowanderern, aber hier wird so massiv mit dem türkischen Frühstück geworben, dass wir gar nicht anders können. Wir sitzen an einem Tisch in der Sonne. Der Chef persönlich verschwindet für uns in der Küche und kommt zurück mit einem riesigen Tablett voller Köstlichkeiten: Käse mit Honig, Toast mit Ei, gegrillte Pilze, Tomaten, Gurken, Oliven, Salat und frittierte Kartoffeln. So üppig bin ich noch nie in den Tag gestartet. Danach gehe ich zur öffentlichen Dusche an der Moschee, viel Wasser aber sehr kalt. Peter verzichtet.

Wer will oben, wenn er auch unten haben kann?

Manchmal ist die Suche nach einem geeigneten Übernachtungsplatz nicht so erfolgreich. Heute zum Beispiel bewegen wir uns auf einer Halbinsel in der Nähe von Marmaris, wo es noch alte, recht ursprüngliche Fischerdörfer geben soll. Die Dunkelheit holt uns aber ein, bevor wir so recht wissen wo wir bleiben. Die Menschen hier sind weit weniger gastfreundlich. Im Winter wollen sie offenbar einfach ihre Ruhe. Wir folgen schließlich dem Carian Trail der an einer winzigen Bucht mit einem sehr kleinen Hafen endet. Die steil aufragenden Felsen bieten Schutz vor dem auffrischenden Wind. Einige Männer sind noch an den Booten zugange. Auf dem Bootssteg liegt ein Paket mit Olivenzweigen verschnürt. Als es schon dunkel ist kommt ein LKW und nimmt dieses Paket auf die Ladefläche. Mitten in der Nacht wache ich auf, weil es draußen plötzlich taghell wird. Eine Polizeistreife ist aufgekreuzt und sucht im Scheinwerferlicht den Hafen ab. Einer der Polizisten leuchtet mit der Taschenlampe in alle Richtungen. Für uns interessiert er sich nicht im Mindesten, aber er schaut genau in jedes der vor Anker liegenden Boote. Erst nach einer halben Stunde, nachdem er alles genau in Augenschein genommen hat, fährt das Auto mit Blaulicht wieder davon. Wir grübeln am nächsten Morgen darüber, wo wir hier gelandet sind. Zwei Szenarien drängen sich auf, illegaler Warenhandel oder Flüchtlingsschmuggel. Wir packen zusammen und sehen zu, dass wir hier wegkommen.

Bruno geht´s wieder gut, aber jetzt braucht der Landy Zuwendung. Ein Radlager muss getauscht werden. Peter kann das selbst machen, er braucht lediglich eine Werkstatt, um sich Werkzeug auszuleihen, das er nicht dabei hat. Die Suche nach der Werkstatt ist aber gar nicht einfach. Entweder die Einfahrten sind so eng, dass wir mit unserem Alkoven gar nicht erst hinkommen, oder die Chefs winken gleich ab und schicken uns woanders hin. Bei der Werkstatt mit dem meisten Dreck und Durcheinander sind wir schließlich willkommen. Wir parken am Straßenrand und Peter macht sich an die Demontage des Rades und der Bremse. Irgendwann beißt er auf Granit, denn warum auch immer sind einige Schrauben verklebt worden. Der Chef und sein Sohn springen uns sofort zur Seite. Der Sohn ist so filigran, dass er problemlos unter dem Radkasten Platz findet. Gemeinsam wird das Problem gelöst. Derweil suche ich eine Lokanta, die uns mit Mittagessen versorgen kann. Der Wirt freut sich und bringt das Tablett mit den Köstlichkeiten höchstpersönlich zur Werkstatt und holt es später auch wieder ab. Wir haben die Türken inzwischen ins Herz geschlossen. Interessant, wenn man bedenkt, dass wir in unserer Reiseplanung die Türkei ursprünglich gar nicht auf dem Zettel hatten.

Radlagerwechsel – der Chef packt mit an

Ich habe Tage damit zugebracht im Internet nach verlässlichen Informationen über Fährfahrten von der Türkei auf die griechischen Inseln zu suchen. Im Nachhinein hätte ich diese Zeit besser in der Sonne gelegen, denn selbst auf den Portalen die ausgewiesene Experten für Fährfahrten sein sollen, sind die Angaben so vage und widersprüchlich, dass damit nichts anzufangen ist. Der allgemeine Tenor geht jedoch in die Richtung: Ab Ende Oktober keine Fähren von der Türkei auf die griechischen Inseln. So fahren wir dann auch sehr ergebnisoffen im Hafen von Marmaris vor. Wir wollen einfach mal fragen, wie es sich denn so verhält mit dem Fährverkehr. Am Hafeneingang müsse wir erst mal durch die Security, die auch mit Spiegeln unter das Fahrzeug schaut, offizielle Landesgrenze eben. Im Büro der Fährgesellschaft sind wir dann einigermaßen überrascht als es heißt, „die Fähre nach Rhodos legt in drei Tagen ab.“ „Ach, echt jetzt?“ Wir sind perplex, aber machen natürlich gleich eine Buchung. Als wir zum vereinbarten Zeitpunkt wieder da sind schaut uns die Dame, die Parktickets für das Hafengelände verkauft, allerdings mit großen Augen an. „Das so ein großes Ding auf die Fähre geht habe ich noch nie gesehen!“ Jetzt sind wir doch ein bisschen irritiert. Hat uns der Mitarbeiter am Schalter falsch verstanden? Natürlich wollen wir unser Auto mitnehmen.

Bruno genießt die Stimmung am Abend vor der Abreise

Wie die Geschichte ausgeht? Das erfahrt ihr im nächsten Blogbeitrag ;o)

Bis dahin tröstet euch doch gerne mit der Bildergalerie zur Türkei, die ihr hier findet. Oder schaut euch das Video hier an.

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3 Comments

  1. Dani und Pat says:

    Liebe Leute lieber Hund. Euere Reise Berichte sind Atemberaubend.
    Und die Texte ebenfalls.
    Wir blicken im Moment nicht wann ihr auf Kreta wart und Rhodos.
    Aber ist nicht schlimm 😁
    Weiterhin viel Vergnügen
    Liebe Grüße D&P

    1. Heike Specht says:

      Ihr Zwei Lieben! Danke für eure schönen Komplimente. Macht aber auch Spaß bei so einer feinen Fangemeinde 😘
      Auf Kreta sind wir immer noch. Griechenland kam nach der Türkei. Der Blog war ein bisschen hinterher.

  2. Nessi says:

    Auf dem lykischen Weg sind wir vor 3 Jahren von Fethiye ostwärts gewandert. Die Aussichten auf das Meer sind atemberaubend. Eine herrliche Gegend.
    Habt noch eine schöne Zeit ohne weitere Pannen (naja, irgendetwas ist ja immer, sonst wäre es doch langweilig 😉

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