Wie beschreiben wir ein Land, das bei der Größe von Bayern die Vielfalt Neuseelands aufweist? Wo fangen wir an, bei der Schwarzmeerküste, dem Kaukasus, der Wüste, der Weinregion oder doch den Höhlenklöstern? Georgien ist nicht nur landschaftlich schwer zu fassen, auch kulturell und kulinarisch. Nehmen wir das Brot. Der Georgier unterscheidet das normale Puri (Fladen mit Ohren) vom Khatchapuri, bei dem Käse eingebacken wird. Das gibt es dann noch als Variante mit Ei obendrauf, oder statt Käse mit Fleisch. Sehr verwirrend und sehr lecker!
Die georgische Küche verarbeitet Kräuter die teilweise nur in Georgien wachsen und grünen Koriander, sehr viel Koriander. Peter kehrt damit bündelweise vom Markt zurück. Ebenso mit Dill, Petersilie, Basilikum (auch in der Variante mit roten Blättern) und Grün das wir nicht kennen und zu dem ihn die Kräuterhexe überredet hat. Für den Besuch beim Metzger braucht man gute Nerven, denn das Rind wird nur minimal in transportable Stücke zerlegt, die der Meister am liebsten als Ganzes verkauft. Für die Touristen setzt er aber schon mal die Axt an – auf einem Baumstumpf.
Restaurant-Besuche lohnen sich, denn hier können wir nicht nur all die landestypischen Speisen probieren, sondern auch den georgischen naturtrüben Wein. Woran wir uns erst gewöhnen müssen: Das Essen kommt so aus der Küche wie es fertig wird. Da kommen die Pommes als Beilage schon mal weit nach dem Knoblauchhühnchen auf den Tisch.
Im Straßenverkehr brauchen wir Nerven wie Drahtseile, denn der Georgier an sich scheint sein Auto nicht so zu lieben wie der Deutsche. Hier wird bevorzugt in der Kurve überholt. Die Polizei macht vor wie es geht. Wir wundern uns schon lange nicht mehr darüber, dass bei der Front der meisten Fahrzeuge unterhalb des Kühlergrills alles fehlt.
Es ist auch völlig Sinn-frei eine Stoßstange zu haben, wenn die bei dem nächsten Zusammenprall gleich wieder abfällt. Etwa die Hälfe aller PKW in Georgien ist rechtsgelenkt. Auch seltsam, wo man hier doch wie bei uns auf der rechten Seite fährt. Uns wurde erklärt, dass man eine Zeit lang sehr billig japanische Importe erwerben konnte. Da man in Japan, wie in Großbritannien, auf der linken Seite fährt, sind die Wagen Rechtslenker. Das erklärt, warum so viele Autofahrer hier im Dauermodus über der Mittellinie unterwegs sind. Das andere Kuriosum sind Lastwagen. Als die Russen gegangen sind haben sie offenbar ihre gesamte Flotte zurückgelassen und die Kamasz und Urals aus dieser Zeit sind jetzt im Privatbetrieb unterwegs, zwar langsam, aber stetig und gelegentlich wird Ladung verloren. Zu alle dem denkt euch jetzt noch Pferde, Kühe, Schafe, Schweine und streunende Hunde, dann habt ihr eine Vorstellung von dem Chaos, in dem wir unterwegs sind. Vom Zustand der Straßen ganz zu schweigen, aber dazu später mehr.
Jetzt erst einmal der Reihe nach
Der Grenzübergang von der türkischen Schwarzmeerküste aus liegt bei Batumi. Sowohl die türkischen als auch die georgischen Grenzgebäude sind riesig und erinnern eher an Flughäfen, als an eine Landesgrenze. Zudem stehen die Gebäude praktisch Rücken an Rücken. Für mich überraschend kommt die Aufforderung doch bitte auszusteigen. Hier darf nur der Fahrer im Fahrzeug verbleiben. So marschiere ich durch ellenlange Gänge mit Transportbändern für die Menschen, die nicht so gut zu Fuß sind. Es geht eine Treppe runter, die nächste wieder rauf, bis ich irgendwann vor drei Warteschlangen ankomme wovon nur eine für EU-Bürger ist. Geduldig warte ich bis ich der türkischen Grenzbeamtin gegenübertreten darf. Sie nimmt meinen Pass entgegen und erzählt mir dann ich würde blass aussehen. Verdutzt schaue ich sie an, bis ich begreife, dass sie mir eigentlich versucht auf Englisch zu erklären, ich soll meine Sonnenbrille ausziehen, damit sie meine Augen sehen kann („Glasses please!“).
Ich mache mir diesen Grenzübergang selbst noch schwerer, weil ich versuche hier meine Pässe zu tauschen. Der Pass mit dem ich bisher unterwegs war hat einen Einreisestempel aus USA und ich bilde mir ein, dass der wahrscheinlich in der iranischen Botschaft in Tiflis nicht so gut ankommt. In Georgien wollen wir ja unser Visum beantragen. Also zeige ich dem georgischen Grenzbeamten lächelnd meinen Zweitpass. Der blättert hektisch durch die Seiten und sucht nach dem türkischen Ausreisestempel. Dann schnaubt er mich wütend an, wo mein anderer Pass sei (das Spiel an sich kennen sie also hier wohl schon). Ich zücke den anderen Pass und will zu einer Erklärung anheben, da schleudert mir der Beamten den Zweitpass um die Ohren als würde Gift daran kleben. Das hat ja mal gut funktioniert! Aber wenigstens bin ich eingereist und darf jetzt drei Monate bleiben. Auf Peter warte ich dann noch eine Dreiviertelstunde, denn die Autoschlange ist sehr lang. Er ist – als wir uns wiedersehen – deutlich entspannter als ich. Kein Check der Reiseapotheke, es wollte überhaupt niemand ins Auto sehen. Er hat sich gut mit den Beamten unterhalten über unsere Reiseroute und den Hund. Na dann, auf nach Georgien!
Eine Lektion in Gastfreundschaft
In der großen Küstenstadt Batumi erledigen wir nur das Nötigste, also Autoversicherung und Telefonkarte. Dann will Peter hier so schnell wie möglich weg. Der Verkehr ist die Hölle. Später hören wir von anderen Reisenden, dass ihnen hier die Scheibe eingeschlagen wurde. Gut, dass wir nicht geblieben sind. Uns zieht es in Richtung Machakhela Nationalpark, ganz im Südwesten des Landes. Da es aber schon sehr spät ist, suchen wir zunächst eine Übernachtungsmöglichkeit. Wir finden einen Picknick-Platz an dem ein findiger Georgier ein Schild „Camping“ angebracht hat. Wir lassen uns selbst durch den Hintereingang rein, wo ein großes Tor ist. Auf unsere Einfahrt reagiert die versammelte Gemeinde mit Grölen und Winken. Wir fragen uns gerade, ob diese Fangemeinde der richtige Ort ist, um von Grenzstrapazen auszuspannen, da schlägt ein Pfosten mit Glühlampe krachend neben uns in den Boden ein. Wir haben offenbar mit dem Alkoven das Stromkabel der Beleuchtung mitgenommen und das Geschrei galt unserer Unachtsamkeit, nicht unserer Ankunft. Peinlich berührt steigen wir aus. Der Besitzer untersucht, ob die Glühlampe noch tut. „Kein Problem! Kommt erst mal ein Bier trinken.“ Der erste Abend wird sehr heiter, denn wir nehmen in einer der Hütten platz und werden fürstlich bewirtet. Die Tochter des Hauses unterhält uns derweil mit einer Tanzaufführung zu georgischer Musik aus ihrem Ghetto-Blaster.
Im Machakhela Nationalpark wollen wir uns die Wasserfälle ansehen. Im Tourismusbüro haben sie uns eine Karte mitgegeben auf der zunächst ein 4×4 Track ausgewiesen ist und dann ein Fußweg. Wir gehen davon aus, dass es zwischen beiden einen Parkplatz gibt. Nach endlosen Höhenmetern ohne Kehren endet die Piste jedoch unvermittelt an einem Wanderweg. Peter hat seine liebe Not den Land Rover zu wenden und eine Möglichkeit zu finden das Auto abzustellen. Während des kurzen Fußmarschs fallen uns die vielen bestellten Felder auf. Außerdem sind Rinder unterwegs, ungewöhnlich für einen Nationalpark. Kurz darauf taucht ein Mann auf der uns bedeutet, dass das seine Gärten und seine Tiere sind. Er fragt, ob wir ihn mit zurück zu seinem Haus nehmen können. Dort angekommen werden wir eingeladen. Da wir von der legendären Gastfreundschaft der Georgier gehört haben, zögern wir nicht lange, sind dann aber überwältigt welche Ausmaße die Bewirtung annimmt. Zunächst knackt der Hausherr Haselnüsse für uns und erklärt uns (wir werden sehr gut im Nutzen und Deuten von Pantomime, denn ohne Georgisch oder Russisch ist die Verständigung hier auf Gesten reduziert) wie wir sie in seinen selbst erzeugten Honig tauchen müssen, damit es noch besser schmeckt. Dazu wird Kaffee gereicht. Danach wollen wir uns eigentlich höflich verabschieden, da geht es erst richtig los. Die Dame des Hauses hat fast alles gekocht, was unser Reiseführer als landestypische Speisen auflistet. So kosten wir Hackfleischbällchen mit süßsaurer Wildpflaumensoße und Chinkali. Letztere sind Teigtaschen die mit Hackfleisch gefüllt in einer Brühe gekocht werden. An einem Ende haben sie einen dicken Teigknubbel an dem man sie anfasst. Die Idee ist hineinzubeißen und die Brühe auszusaugen. Beim Kenner geht nichts daneben. Bei uns natürlich schon.
Wir finden die Herzlichkeit mit der wir hier aufgenommen werden überwältigend. Zu guter Letzt werden noch die Hochzeitsalben des Sohnes ausgepackt und wir gucken Bilder wie alte Bekannte. Leicht angeheitert vom (ebenfalls eigenen) Wein, ziehen wir nach mehreren Stunden wieder ab.
Nummer 1
Die Nationalstraße mit der Nummer 1 trägt einen trügerischen Namen, denn der Zustand ist nicht etwa erste Sahne, sondern geht von schlecht in furchtbar und von dort in unbeschreiblich über. Irgendwann haben wir genug und biegen zur Übernachtung auf eine Wiese ab. Das ist das reizvolle an Georgien, wir können – außer auf Privatgrund – überall stehen: Camping ist da wo das Auto parkt. Am anderen Morgen müssen wir allerdings die Flucht antreten, da Rinderherden, die nur von Herdenschutzhunden begleitet werden, um unser Auto grasen. Die Rinder sind nicht das Problem, die Herdenschützer schon, denn sie würden Bruno wahrscheinlich direkt angreifen. Im Verlauf der Reise durch Georgien wird die Menge an frei lebenden Hunden zur Herausforderung und so manche geplante Wanderung zunichte gemacht. An diesem Morgen steuern wir das erste Café an das uns unterkommt, ein Bretterverschlag am Pistenrand. Wir bestellen Kaffee und bekommen dazu jeder ein Glas Rotwein, nur zum probieren! Da wir nicht widerstehen können brauchen wir danach ein Schaschlik, um wieder nüchtern zu werden. Dazu serviert der Wirt Wassermelone und Schokostückchen. Es ist einfach nicht möglich nur einen Kaffee zu bekommen! Aber wir bezahlen tatsächlich nur das, was wir bestellt haben. So sind die Georgier.
Wir sind immer noch auf der Route Nummer 1 und besuchen das Kloster Zarzara. Der Garten ist ein Ort der Stille und der Einkehr. Orthodoxe Mönche öffnen das Kirchengebäude für uns. Die Architektur ist eher zurückhaltend, dafür ist die Bildsprache sehr prunkvoll, lebendig und bunt.
Vor dem Kloster sprudelt eine Wasserquelle. Wir nutzen die Gelegenheit unseren Trinkwassertank aufzufüllen. Ein Schauspiel bei dem die Umstehenden interessiert zusehen, da wir das Wasser in einen Eimer umleiten von dem aus es eine kleine Pumpe über einen Schlauch zunächst durch einen Wassermengenzähler und dann durch den Vorfilter befördert, bevor es die Tanköffnung des Autos erreicht. Tolles System. Nur leider stellen wir fest, dass die Pumpe, die das Wasser in das Wageninnere zu den Verbrauchern transportiert, bereits nach drei Monaten den Geist aufgegeben hat. Peter löst das Problem vorübergehend, aber da sauberes Trinkwasser für uns eine wichtige Reisevoraussetzung ist, beschäftigt uns das Thema länger. Wir nehmen mit Joachim Proksch von Famous Water (mit deren Filtersystemen wir unterwegs sind) direkt Kontakt auf. Er bringt ein Pumpen-Modell aus seinem Sortiment direkt nach Tbilisi per Post auf den Weg. Das Paket aus dem Post loszueisen dauert eine ganze Woche in deren Verlauf wir nicht nur lernen was Copyshop heißt (Xerox) und wie man eine georgische Steuernummer beantragt (im Ernst, wir haben jetzt eine), sondern wir lernen auch die Dame auf der Post so gut kennen, dass sie uns weitere Anweisungen per WhatsApp direkt auf´s Mobiltelefon schickt. Damit es schneller geht, wie sie sagt. Wir sind trotzdem fast jeden Tag vor Ort. Am Ende muss dann Joachim nochmal ran, bis die Anlage wieder problemlos läuft. An dieser Stelle ein fettes Dankeschön, für die spontane und kompetente Hilfe!
Akhaltsike
Einen Supermarkt der besonderen Art finden wir in Akhaltsike vor. Das rechteckige Gebäude wird ringsum von kleinen Läden gesäumt, die einen Eingang zur Straße und einen zum Innenraum des Gebäudes haben. Hier gibt es ein großes Sortiment an Waren. Die einen führen Waschmittel, die nächsten Getränke und wieder andere Tassen und Töpfe. Im Innenraum werden vor allem Lebensmittel angeboten. Das spannende für mich ist, dass ich hier alles einzeln haben kann, von der Kaffeebohne bis zur Nudel.
Touristen kommen nach Akhaltsike der aufwändig restaurierten Altstadt wegen. Hier kann man zwischen einem Fort, einer Kirche, einer Moschee und zahlreichen Restaurants und Cafés flanieren, alte Wohnräume oder Bäder besichtigen. Ich komme mir ein bisschen vor wie in 1001 Nacht und bekomme einen Vorgeschmack auf das, was uns im Iran erwartet. Peter findet das alles ziemlich steril, ein Religions-Disney Land als Kulisse, in der kein echtes Leben mehr stattfindet.
Die Höhlenkirchen von Vardzia
Im Südwesten von Georgien liegen zahlreichre mittelalterliche Höhlendörfer hoch oben in Felswänden. Die Anlage in Vardzia ist die größte, aber auch die kleineren Nachbarn sind sehenswert. Vanis Kvabebi zum Beispiel liegt an einem ca. 600 Meter hohen Steilhang. Von unten ist die weiße Kirche als Miniatur wahrnehmbar. Um die Höhlen zu erkennen, die einst geschlossene Wohnräume waren, muss man schon genauer hinschauen. Die Wand sieht ein bisschen aus wie ein Schweizer Käse. Dieser ist schon fast ein Jahrtausend alt. Durch ein Erdbeben 1283 brach die Front des Steilhangs ab. Daher sind die Räume heute alle nach vorne offen. Bis auf die Zeiten als Georgien zur Sowjetunion gehörte waren diese immer bewohnt. Auch heute leben im unteren Teil des Felsens 6 Mönche. Für mehr Komfort wurde in die Höhlenöffnung kurzerhand Fensterglas eingesetzt. Dass die Mönche durchaus in der Moderne angekommen sind zeigt der Blick auf die Wiese. Hier steht unter einem weißen Baldachin ihr blütenweißer SUV.
Vardzia wurde von Girogi III erbaut und von seiner Tochter Tamar, die in Georgien wie eine Heilige verehrt wird, zu einer Stadt ausgebaut. Diese Anlage bot zu Spitzenzeiten 2000 Menschen Zuflucht. Sie besteht aus 13 Stockwerken, weist Wohnräume, Vorratsräume, Weinkeller und eine Zisterne auf. Das Herzstück, die Kathedrale „Holy Dormition“ im Zentrum des Komplexes, hat das Erdbeben überlebt und ist noch komplett erhalten. Hier kann ich Fresken bewundern, die Szenen aus dem Testament zeigen, vieles davon ist sehr detailreich. Auch ein Porträt von Tamar ist darunter. Über winzige, teils verborgene Gänge ist das ganze System verknüpft. Ich komme hier nur in gebückter Haltung voran.
Da es am Tag unseres Besuches unglaublich heiß ist, beschließt Peter bei Bruno am Auto zu bleiben. Er hat ohnehin viel mehr Lust zum Angeln. Die heimischen Angler belächeln ihn zunächst milde, weil er mit Kunstködern arbeitet. Sie sind der Überzeugung dass man einheimische Fische nur mit Brotstückchen fangen kann. Im Gegensatz zu den Ortsansässigen ist Peter aber schon nach kurzer Zeit erfolgreich und macht Nägel mit Köpfen. Der Grill wird ausgepackt und der fangfrische Fisch auf der Stelle zubereitet. Wir campieren an diesem Abend direkt am Ufer des Mtkvani Flusses, von dem aus wir Vardzia und Vanis Kvabebi gleichzeitig sehen können. Besonders schön ist das am Abend wenn die Sterne funkeln und die Denkmäler von unten beleuchtet werden. Auch hier gibt es frei lebende Hunde, die sich Touristen anschließen, weil so das Abendessen gesichert ist. Ein Owtscharka (kaukasischer Hirtenhund) versucht sein Glück bei uns und als er abblitzt konfisziert er kurzerhand einen von Peters Sandalen. Beides taucht nicht mehr auf. Peter nimmt es gelassen.
Unser Tipp: Wer Vardzia besucht, sollte das Flusstal bis zum Ende hinauffahren. Hier gibt es noch einiges zu entdecken. Und ja, die Pflanze in den Klostergärten ist tatsächlich Cannabis. Eher zufällig entdecken wir hier auch eine Felsenkirche die noch komplett intakt ist. Wir müssen zunächst den Fluss überqueren, was angesichts der Tatsache, dass die Brücke kaputt ist, eine Herausforderung darstellt. Dann erklimmen wir die Felswand und stehen unvermittelt vor Vater Johann. Er ist der Mönch der die Anlage hütet. Sein eigenes „Zimmer“ ist ebenfalls in den Stein gehauen und gerade groß genug für seine Habseligkeiten: Bett, Tisch und ein Regal voll mit Büchern. Er zeigt uns jetzt die Metalleiter, die wir hochzusteigen sollen. Diese führt durch ein kleines Loch in das Innere des Felsens. Als sich unsere Augen an die Dunkelheit gewöhnt haben, erkennen wir eine Kirche. Der Stein wurde so behauen, dass die typische Rundbogenform eines Kirchendachs entstanden ist. An der Vorderseite befindet sich ein Altar, überall sind Bilder von Heiligen aufgestellt und es brennen Kerzen. Ein kleines Loch sehr weit oben lässt ein wenig Tageslicht herein. Ein großer Stein kann über das Eingangsloch gerollt werden. Wir vermuten, dass sich auch hier Menschen versteckt haben. Wir verweilen lange an diesem Ort der Stille. Als wir wieder auftauchen lädt uns Vater Johann auf seine „Veranda“ ein. Hier unter einem Strohdach darf ich in seinem Schaukelstuhl sitzen und meinen Blick über das Tal schweifen lassen. Er bietet Wein und Kekse an und untermalt die Szene mit Georgischen polyphonen Gesängen aus dem IPad. Das hat ihm sein Sohn geschenkt und er hat Mühe es zu bedienen. Obwohl wir keine gemeinsame verbale Sprache finden, klappt die Verständigung auf einer anderen Ebene. Als er versteht, dass wir ausgezogen sind, um die Welt zu sehen, sagt er: „Ich komme hier zwar nicht weg, aber dafür kommt die Welt zu mir!“ und grinst. Er macht auf mich einen glücklichen Eindruck, wie jemand der bei sich selbst angekommen ist.
Zufallsbekanntschaften
Wir sind natürlich nicht die einzigen Reisenden, die in Georgien mit dem eigenen Fahrzeug unterwegs sind. Hin und wieder treffen wir auf Gleichgesinnte und wenn die Chemie stimmt, verbringen wir Zeit miteinander. Als wir auf Peter und Steffi treffen, ist schnell klar, dass wir uns viel zu erzählen haben. Die beiden Peters teilen nicht nur den Vornamen, sondern auch den Beruf. Das kann kein Zufall sein! Wir erklimmen gemeinsam den Zekan Paß. Der Wettergott meint es dabei erst gar nicht so gut mit uns, aber kaum haben wir unser Übernachtungsplätzchen in luftiger Höhe mit 360 Grad Panoramablick gefunden, reißen die Wolken auf und wir bestaunen die Weite, der sich um uns herum auftut. Es dauert auch nicht lange, da bekommen wir Besuch von Pferd und Rind. Wir sitzen an diesem Abend lange zu viert in unserem Landy, trinken Wein und erzählen. Am nächtlichen Sternenhimmel ist die Milchstraße zu sehen. Der Schlaf wird in dieser Nacht allerdings mehrfach unterbrochen, weil sich die Pferde vor unserer Tür streiten und Rinder die Autos so intensiv untersuchen, dass sie zu schaukeln anfangen.
Am anderen Morgen trennen sich unsere Wege leider wieder. Wir scheuchen den Landy noch über die Passhöhe und entscheiden dann, dass wir eine Werkstatt brauchen, denn aus dem Motor kommen unheilvolle Geräusche. In Kutaisi fahren wir deshalb bei Tegeta Motors vor. Hier wird vom Kleinwagen bis zum Militärfahrzeug alles repariert. Wir sind daher guten Mutes, dass uns geholfen wird, auch wenn wir nicht sicher sind was kaputt ist. Mehrere Mechaniker beugen sich sofort in den Motorraum und diskutieren angeregt. Sie kommen aber offenbar nicht zu einer einheitlichen Diagnose. Dann wir Georgi gerufen. Er kommt allen Ernstes mit einem Stethoskop und hört den Motor ab, Stück für Stück, so wie es daheim der Doktor mit der Lunge macht. Ich bin sehr beeindruckt und Peter beginnt sich zu entspannen. Georgi hat den Fehler gefunden, ein Lager in der Lichtmaschine ist kaputt. Das Ersatzteil soll auf dem Basar beschafft werden und da Peter bezahlen muss, steigt er zu Uri ins Auto, der mit 100 km/h durch Kutaisi brettert. Glücklicherweise wird das Lager gefunden und die Beiden kehren heil wieder zurück. Das Lager wird sofort ausgetauscht und wir sind wieder startklar. Mich begeistert an dieser Erfahrung nicht so sehr, dass wir sofort einen Termin bekommen haben und die Reparatur nur 55 Euro gekostet hat, sondern dass dies an einem Samstag-Nachmittag stattfindet und in zwei Stunden erledigt ist, so dass die Mitarbeiter gegen 18 Uhr endlich ins Wochenende starten können. Uri schickt uns mit den Worten wieder auf die Straße: „Jetzt schnurrt der Land Rover wieder wie eine Rolex!“ Trinkgeld will er um keinen Preis annehmen. Für ihn gehört der gute Service einfach zum beruflichen Selbstverständnis.
Der große Kaukasus
Wahrscheinlich das Herzstück einer jeden Georgienreise ist der Besuch des großen Kaukasus, der sich über den Norden des Landes erstreckt. Hier liegen die höchsten Berge Georgiens, alles Gletscher mit Höhen über 5000 Meter. Die Zufahrten in die Gebiete sind abenteuerlich, denn an dieser Stelle bröselt Georgien außerordentlich. Das Gestein ist so brüchig und weich, dass es immer wieder zu Erdrutschen kommt. Dabei geht nicht selten der ganze Hang ab und begräbt Häuser und Straßen unter sich. Die Pisten werden gerade so weit geräumt, dass Autos wieder passieren können. Aber manchmal verschwindet ein ganzes Stück der Straße auch einfach im Abgrund. Dann werden im besten Falle Betonpfeiler aufgestellt, manchmal aber auch nur ein Absperrband angebracht, um zu signalisieren, dass man diese Stelle besser umfährt. Für Off-Road-Freunde sind die Strecken ein Paradies. Wir haben uns dieses Gebiet sehr intensiv angeschaut und dabei auch Gegenden erkundet, die abseits der bekannten Strecken liegen.
Svanetien – Die große Runde
Für uns beginnt das Abenteuer in Lentheki von wo aus wir in Richtung Zagaro Pass (2600 Meter) aufbrechen, die übliche Runde Mestia – Ushguli also in umgekehrter Richtung angehen. Bevor es anstrengend wird schieben wir aber eine erste Übernachtung ein. Peter folgt auf der Suche nach dem besten Platz für gewöhnlich seiner Intuition. Wir sind aber auch mit der App IOverlander unterwegs, die von Reisenden mit aktuellen Informationen gefüttert wird, z.B. über gute Restaurants, wo es Wasserstellen gibt oder eben auch gute Wildcamps. So landen wir auf einer Wiese auf der sich wenig später auch Florian und Caro (Instagram: Adistantcall) einfinden, die mit der gleichen App reisen. Wir sitzen am Abend zusammen am Lagerfeuer und tauschen Geschichten aus. Die Beiden sind in einem Jahr von Australien nach Deutschland unterwegs. Für die Strecke nach Ushguli sprechen wir uns gegenseitig Mut zu. Dabei fließen auch einige Gläser Wein.
Schon kurz nach dem Aufbruch ist die „alte“ Straße vollends davon. Die Ausweichroute folgt dem Flussbett. Ein entgegenkommender Deutscher hat für uns nur die Bemerkung „na da habt ihr euch ja was vorgenommen!“ übrig. Da können wir mit der detailgenauen Pistenbeschreibung der tschechischen Motorradfahrer schon mehr anfangen. Der Land Rover arbeitet sich jetzt den Berg hinauf, meist durch Matsch. Dankbar nehmen wir in einem winzigen Dorf hier oben das Angebot eines türkischen Kaffees an. Der kommt in Begleitung eines nicht bestellten Honigkuchens. Das klappt also auch über 2000 Metern Höhe!
Ab hier wird der Matsch von Steinen abgelöst und die Piste gleicht eher einem Wanderweg, sehr steil und serpentinenreich, aber mit gigantischen Ausblicken auf unsere ersten Kaukasus-Gletscher. Wir passieren Arbeiter die die Straße sanieren. Es werden Bäume gerodet und eine Piste gegraben. So wie das für uns aussieht ist der nächste Rutsch aber schon vorprogrammiert.
Wir kommen nur sehr langsam voran, was auch daran liegt, dass wir ständig aussteigen um Fotos zu machen. Die Berge leuchten in rot, grün oder grau, hier und da sind Schneereste in den Hochwiesen. Die Kappen der höchsten Berge sind von Gletschereis bedeckt. Sie schimmern im Sonnenlicht grünlich bis bläulich. Jetzt, im Hochsommer, blühen überall Blumen. Mir fällt auf wie laut es hier brummt und summt. Diese Insektenvielfalt habe ich zu Hause schon lange nicht mehr erlebt.
Ushguli ist mit 2200 Metern das am höchsten gelegene dauerhaft bewohnte Dorf Georgiens. Es ist bekannt geworden durch seine Ansammlung alter Wehrtürme, die sich gegen den höchsten Berg Georgiens, dem Shkara (über 5000 Meter) mit seiner weißen Gletscher-Kuppe malerisch abzeichnen. Ich habe das Gefühl im Himalaya angekommen zu sein.
Den Gletscher des Shkara wollen wir uns aus der Nähe ansehen. Wir reihen uns ein in die Schar der „Pilger“ die zu Fuß, zu Pferd oder eben mit 4×4 das Hochtal durchqueren. Hinter einer Kurve liegt ein SUV V8 auf dem Dach in der Kehre einer Serpentine. Wir hoffen, dass niemand verletzt wurde.
Die letzten Kilometer gehen wir zu Fuß, obwohl auch hier viele streunende Hunde unterwegs sind. Wir haben herausgefunden, dass sie auf laute Stimmen reagieren und durch die Andeutung eines Steinwurfs gut im Zaum zu halten sind. Hier oben ist der Feind ein anderer: Der Riesenbärenklau, auch Herkulesstaude genannt, ist eine hinterhältige Pflanze. Sie ist imposant anzuschauen, wenn man mit ihr in Berührung kommt werden jedoch Substanzen auf die Haut übertragen, die bei Sonneneinstrahlung giftige Verbindungen erzeugen. Das soll mit Schmerzen einhergehen, die Verbrennungen zweiten Grades ähnlich sind. Wir nehmen uns daher in Acht sie nicht zu berühren.
Dann sind wir so hoch, dass die Vegetationszone dem Gletscher-Geröll weicht. Wir setzen uns auf einen der großen Felsbrocken und sehen dem Gletscher dabei zu, wie er mit seinem Schmelzwasser Steine in Bewegung setzt, die mit Getöse in den Fluss purzeln. Wir kommen an diesem Ort ins Nachdenken. Wie lange diese Naturschauspiele wohl noch zu beobachten sein werden?
Am Abend werden wir von strömendem Regen und fallenden Temperaturen überrascht. Wir sind froh über die Möglichkeit im Land Rover warum zu duschen. Herrlich!
Adishi ist noch kleiner als Ushguli, mit Wehrtürmen und Häusern die sehenswert sind: Mit sehr viel Talent wurden hier hölzerne Schmuckelemente außen als Bordüre angebracht, filigrane Meisterwerke. Manche Häuser haben eine Glasfront, allerdings aus sehr vielen ganz kleinen Scheiben. Im Ort laufen Hühner, Hunde, Pferde und Rinder auf schmalen schlammigen Pfaden durcheinander. Dazwischen viele Wanderer die ein Bed and Breakfast suchen. So manche allein reisende Frau wird abgewiesen. Hier sind sie noch sehr traditionell. Das stellen wir auch am anderen Morgen bei unserer Wanderung zum Adishi Gletscher fest. Spannender als der Gletscher ist nämlich die Kirche entlang des Weges. Hier hat am vorigen Tag ein Wallfahrtsfest stattgefunden. Davon zeugen heute noch Knochenreste und Blutlachen unter Gestellen an denen geschlachtet Tiere aufgehängt wurden. Außerdem passieren wir Alkoholpfützen, die Reste des weinseligen Beisammenseins. In der Kirche finden wir allerhand okkulte Gegenstände vor, aber auch Heiligenbilder wie man sie aus orthodoxen oder katholischen Kirchen kennt. Die Atmosphäre ist etwas gespenstisch. Ich fühle mich an den Voodoo-Kult in West-Afrika erinnert: Offiziell Katholizismus, inoffiziell Animismus. Schade, dass niemand hier ist, der uns all das erklären kann.
Mestia, die touristische Hochburg Svanetiens, hat als Stadt für uns nicht viel zu bieten, nicht einmal einen Stellplatz für die Nacht. Aber die Umgebung ist landschaftlich so reizvoll, dass wir uns trotzdem eine ganze Weile hier aufhalten und dabei sehr pfiffige Übernachtungsplätze finden, wie z.B. in der Nähe des Skilifts oder unter der Sprungschanze im Grünen.
Mestia´s Skihänge werden wohl hauptsächlich von Russen frequentiert. Wie die überhaupt zu den Hängen kommen ist uns allerdings schleierhaft, denn die Wege sind schon im Sommer maximal mit einem geländegängigen Fahrzeug befahrbar. Im Winter kann ich mir das gar nicht vorstellen.
An einem Abend gönnen wir uns ein Gästehaus. Für uns heißt das, wir „mieten“ ein Bad und nutzen die Waschmaschine, aber geschlafen wird „daheim“. An diesem Abend werden wir von der Herrin des Hauses fürstlich bewirtet. Georgische Hausmannskost. Am nächsten Tag kocht Peter wieder selbst. Wir haben Steinpilze gesammelt. Da diese hier etwas anders aussehen als bei uns zu Hause, hält Peter sein Körbchen kurzerhand einer Georgierin unter die Nase, die gerade Beeren pflückt. Sie zeigt ihm den Daumen-hoch und lächelt breit. Das genügt uns als Qualitätskontrolle.
Von höchster Qualität ist auch die Beratung in der Apotheke. Hier bekommen wir endlich ein Antibiotikum, das Bruno´s Augen wirklich hilft.
Und täglich grüßt das Murmeltier (Georgische Grenzposten im Kaukasusgebiet)
Hätten wir unseren Weg durch den Kaukasus aufgezeichnet, dann würde dieser aussehen wie ein Kamm, denn wir bewegen uns von Ost nach West und stechen dabei in jedes Tal hinein, das interessant aussieht. Da an den Gletschern Schluss ist, müssen wir immer wieder zum Ausgangspunkt zurück.
Einer dieser Stiche geht zum Ushba-Gletscher. Hier sind nicht nur die Berge um uns herum der Hingucker, sondern auch die Natur in der wir übernachten können. Ein ausgedehntes Waldgebiet wird vom Gletscherfluss durchbrochen. Der Boden ist humusweich und überall wachsen Moose und Farne. Ich erwarte hinter den Bäumen jederzeit Feen und Zwerge zu sehen. Wir können im Schatten der Bäume parken, Lagerfeuer machen und uns mit Flusswasser waschen. Ein Ort an dem wir die Zeit gänzlich vergessen. Wir machen eine Wanderung zu den höher gelegenen Wasserfällen. Dabei passieren wir zum ersten Mal einen georgischen Grenzposten. Diese sind der russischen Kaukasusgrenze weit vorgelagert und verhindern, dass jemand ohne die entsprechenden Papiere über die Grenze schlüpft. Diplomatische Probleme haben sie hier mit Russland auch so schon genug.
In Mazeri ist das „Grand Hotel“ angesiedelt, das so gar nichts von dem hat, was man unter seinem Namen erwartet. Es ist kuschelig klein, sehr gemütlich und hat den besten Apfelstudel mit Vanille-Eis. Der Betreiber, ein Norweger, drückt seine Liebe zu dieser Gegend in einem eigenen Bildband aus, in dem er die Jahreszeiten Sommer und Winter als Wander- bzw. Skitouren einander gegenüberstellt. Wir haben richtig Lust bei Schnee wieder zu kommen.
Im Tal an dessen Ende das winzige Dorf Nakra liegt haben wir die touristische Zone endgültig verlassen. Hier dreht sich nun wirklich jeder nach unserem Fahrzeug um. Im Marktgeschäft haben sie keine Frischwaren und das Angebot scheint noch aus dem letzten Jahrtausend zu sein. Die Dörfler fragen uns wohin wir wollen und erklären, dass wir uns beim Grenzposten melden müssen. Der ist gar nicht zu verfehlen, denn die Weiterfahrt wird durch einen im Fluss geparkten Kamaz versperrt. Die Beamten lassen sich im Land Rover alles zeigen, wohl mehr aus Neugier. Nachdem wir mit Zeichensprache auf der Karte signalisiert haben, dass wir uns für die nähere Umgebung interessieren und nicht vorhaben nach Russland durchzustechen, lassen sie uns passieren. Es gibt in Georgien übrigens auch Beobachter der EU, die die Grenze zu Russland im Auge behalten und bei militärischen Bewegungen sofort Meldung machen würden.
Die weitere Route ist recht abenteuerlich, denn hier scheinen nur noch Waldarbeiter mit schwerem Gerät unterwegs zu sein. Für die Nacht finden wir eine wunderschöne Wiese neben einen kleinen Fischteich. Als wir am anderen Tag zurückkehren, haben die Grenzer einen Baum gefällt, der jetzt über der Straße liegt. Damit es schneller geht, wollen wir gerne mit anpacken, aber das finden sie hier übertrieben.
Der Stich den Fluss Nenskra entlang hält eine besondere Begegnung für uns bereit. Bis es soweit ist, müssen wir aber erst einmal eine ziemlich lange Baustellenzone überwinden. Hier wird seit Jahren an einem Damm gebaut. Da der Fluss die Straße immer wieder mitnimmt, fangen sie praktisch jede Saison wieder von vorne an. Hier ist diesmal am Grenzposten endgültig Schluss. Sie verstehen nicht, was wir auf der anderen Seite wollen und halten es aus irgendeinem Grund für zu gefährlich, dass wir passieren. Wir beschließen kurzerhand außerhalb des Dorfes Lager aufzuschlagen. Die Grenzbeamten lassen uns aber auch da nicht aus den Augen. Einer telefoniert sogar mit seiner Schwägerin, die in Deutschland lebt, um uns zu erklären, dass er nur um unsere Sicherheit besorgt ist. Er wüsste gerne was wir hier wollen und wie lange wir bleiben. Peter findet das übergriffig. Bisher hat es doch auch niemanden interessiert! Kurios wird das Ganze, als ein Motorrad mit einem Pärchen auftaucht. Die Sozia ist die Schwester zuvor erwähnter Schwägerin, die inzwischen ebenfalls Bescheid weiß. Auch sie lebt in Deutschland und ist in Georgien auf Heimaturlaub mit ihrem Mann. So lernen wir Reinhold (den Fahrer des Motorrads) und seine Frau Dwariza kennen. Sie geben uns einen Tipp wie wir weiterkommen, ohne (vermeintlich) an der Grenze vorbei zu müssen. Flussabwärts liegt eine Brücke über die Schlucht. Auf der anderen Seite ist die Piste der Bauarbeiter, der sollen wir folgen. Und wir müssen unbedingt bei Nana anhalten, die hat dort einen Imbiss mit frisch gezapftem Bier. Sie würden schon mal vorfahren und Bescheid sagen, dass wir kommen. So machen wir es! Das Bier bei Nana läuft so gut, dass wir gleich zwei davon trinken. Aber mit Khatchapuri (Brot mit eingebackenem Käse) lässt sich das gut verdauen. Kaum haben wir die Zone der Dammbau-Arbeiten hinter uns gelassen taucht der nächste Grenzposten auf. Na super! Die Herren hier sind aber so clever Funkkontakt mit einem Kollegen aufzunehmen der englisch kann. Dem erklären wir, Peter wolle oberhalb im Fluss fischen und wir seien morgen zurück. Die Grenzbeamten kopieren unsere Pässe und weiter geht´s. Das Panorama das sich uns nun eröffnet ist nur mit einem Wort zusammenzufassen: Spektakulär! Wir haben einen 360 Grad Rundumblick auf Gletscher die alle über 4000 Meter hoch sind. Schwer mit der Kamera einzufangen. Peter wirft die Angel ins Wasser. Gerade als ich meine Unterhosen zum Trocknen über die Außenspiegel hänge (Frau muss sich ja irgendwie beschäftigen, wenn der Mann das Abendessen jagt), kommt mit Getöse ein Polizeiauto angefahren. Die zwei Beamten beobachten Peter eine ganze Weile und ich frage mich leicht besorgt, worauf das hinausläuft. Dann erklären sie ihm gestenreich, dass er nichts fangen wird, wenn er Kunstköder benutzt. Er soll Brotstücke an die Angel hängen! Das hatten wir doch schon mal….Die Polizei kümmert sich hier wirklich um alles!
Als wir endlich alleine sind sammeln wir Holz für das Lagerfeuer. Wir sitzen lange an den Flammen und bestaunen den Sternenhimmel. Die Gletscher leuchten silbrig im Schein des aufgehenden Mondes. Ach geht es den Autowanderern gut!
Die Restglut am anderen Morgen reicht sogar noch für ein Spiegelei. Dann machen wir uns auf Reinhold und Dwariza den verabredeten Besuch abzustatten. Da unser Wassertank mal wieder leer ist, nutzen wir auch die Gelegenheit Gletscherwasser aus ihrer Wasserversorgung abzuzapfen. Derweil sitzen wir im Haus bei Kaffee und erzählen. Dwariza hat noch eine Schwester, die hier mit der Mutter gelebt hat, bis diese verstorben ist. Gemeinsam freuen sie sich jetzt auf Ferien am Strand. Für die Schwester die erste Auszeit seit 15 Jahren. Um die drei Rinder, den Hund und die Hühner kümmert sich zwischenzeitlich der Nachbar. Uns wird wieder einmal die georgische Gastfreundschaft zuteil, die auch Reinhold inzwischen verinnerlicht hat. Wir werden mit Äpfeln und Käse versorgt, nach mehreren Stunden – voller neuer Eindrücke – wieder auf die Straße entlassen.
Kazbegi Nationalpark
Das Motiv der Dreifaltigkeitskirche vor dem Kazbegi Gletscher bei Stepantsminda ziert so ziemlich jeden Reiseführer über Georgien. Selbstredend will ich das mit eigenen Augen sehen! Sehr zu Peters Leidwesen, der sich die Georgische Heerstraße gerne erspart hätte. Hier fahren sie noch wilder als sonst schon im Land. Er muss permanent sowohl die Straße vor sich, als auch den Rückspiegel im Blick haben, denn die Überholmanöver sind nicht nur für den Überholenden lebensgefährlich. Die erste Rast machen wir daher schon am Zhinvali Rerservoir gegenüber des Klosters Ananuri. Wir stellen den Landy direkt am Ufer dieses Süßwasser-Reservoirs ab und springen gleich ins Wasser. Selbst Bruno dreht zur Abkühlung ein paar Runden. Wir haben uns gerade installiert schauen zwei bekannte Gesichter um die Ecke: Johannes und Marie. Wir haben sie vor ein paar Tagen in Mestia kennengelernt. Wir freuen uns riesig. Die Beiden sind so herzerfrischend offen, positiv und gut drauf, das steckt einfach an. Mut haben sie obendrein, denn ihr Reisemobil ist ein VW Caddy all track, mit dem sie sich so ziemlich alles zutrauen. Johannes der alte Pfadfinder kocht aus Prinzip nur auf Holzfeuer. Heute Abend baut er die „Mutter aller Feuerstellen“ mit der man wahrscheinlich ein ganzes afrikanisches Dorf versorgen könnte. Wir haben beim Kochen viel Spaß und als die Sonne untergegangen ist schauen wir auf das silbrig glänzende Gewässer und das erleuchtete Kloster. Die Szene wird untermalt von polyphonen Gesängen, die aus dem Auto-Lautsprecher unserer georgischen Grillnachbarn herüberwehen. Magisch! Als wir uns verabschieden, tun wir dies als Freunde, in dem Wissen uns wiederzusehen, wenn nicht auf der Strecke, dann spätestens zu Hause.
Für alle die sich vor Ort auskennen: Die serpentinenreiche Strecke von Stepantsmida hinauf zur Zminda-Sameba Kirche von Gergeti ist inzwischen geteert. Das tut der Schönheit der Landschaft aber keinen Abbruch. Auf den sanften Hügeln die hier oben von Gras bewachsen sind dürfen wir campieren, egal wo. Wir postieren uns leicht erhöht genau zwischen die Kirche und den Kazbegi-Gletscher. Die nächsten Tage vergehen damit, dass wir uns beides in wechselnden Lichtverhältnissen anschauen und unendlich viele Fotos machen. Eine hier frei lebende Owtscharka-Hündin freundet sich derweil mit Peter an, der unsere Wasserreserven mit ihr teilt. Bruno findet das erwartungsgemäß nicht so klasse. Es funktioniert nur, solange jeder Hund auf einer Seite des Campingstuhls neben Peter so Platz nimmt, dass sie sich gegenseitig ignorieren können. Andernfalls ist großes Gebell.
Diese Sympathiebekundungen von Freiläufern mit Touristen sind nicht ungefährlich für die Hunde. Wir treffen unterwegs auf Jochen und Familie (Instagram: Five-In-A-Box) denen sich auf der Wanderung zum Basiscamp des Katzbegi ein Retriever-Mischling anschließt. Unterwegs treffen sie auf Herdenschützer, die das Tier zu zweit angreifen und kaum etwas davon übrig lassen. Wanderungen mit Bruno in diesem Gebiet sind gestrichen.
Das zweite landschaftliche Highlight in dieser Ecke des Kaukasus ist das Truso-Hochtal. Auf brüchiger, einspuriger Piste – natürlich trotzdem mit Gegenverkehr – geht es an kleinen Wasserfällen vorbei. Hier dampft es gewaltig aus der Erde, denn das Gebiet ist vulkanischen Ursprungs. Der Fluss hat einen beeindruckenden Canyon geschaffen. Ziemlich unvermittelt geht dieser Einschnitt in eine weite Hochebene über die vor Farben überbordet. Weiße Gletscher, grüne Wiesen, bunte Sommerblumen, rotbraunes Gestein, gefärbt von den hier allgegenwärtigen Mineralquellen. Dazwischen beige Schafe und bunte Rinder. Wir suchen uns einen Stellplatz von dem aus uns die Herdenschützer, die hier mit den Schafen alleine unterwegs sind, weder sehen noch riechen können und verfolgen das Farbspektakel im wechselnden Sonnenlicht.
Georgischer Wein – Eine Jahrtausende alte Tradition
Eine Rheinhessin und ein Badener könnten Georgien wohl kaum verlassen ohne einen Besuch in Kachetien, der Hochburg des Weinanbaus. Über das was wir Weintradition nennen kann der Georgier nur müde lächeln. Hier liegt praktisch die Wiege der Weinkultur. Die ersten Funde von Werkzeugen zur Weinherstellung datieren 8000 Jahre zurück. Von den heute weltweit 4000 Rebsorten stammen 500 aus Georgien. Der alten Tradition folgend werden die Trauben noch heute in langen Wannen gekeltert, mit Füßen gestampft und der Saft zusammen mit der Maische in riesige Amphoren aus Ton geleitet, die sogenannten „Kwewri“. Diese sind im Boden eingelassen, der konstanten Temperatur wegen. Für die Reifung des Weines werden sie mit Deckeln aus Holz oder Schiefer verschlossen und mit Asche oder Lehm versiegelt. Eine Amphore kann zwischen 10 und 3000 Litern Flüssigkeit aufnehmen. Mehrere Amphoren im Boden eingelassen bilden den Marani oder Weinkeller. Wir gewinnen auf unserem Streifzug durch Kachetien den Eindruck, dass solche Marani vor allem in und um Kirchen oder Klöster angelegt wurden. Nirgendwo finden wir größere Ansammlungen diese Amphoren, teils noch im Waldboden vergraben!
Einheimische machen sich heute um die Erhaltung der alten Rebsorten verdient. Wir treffen einen Georgier, der uns stolz erklärt sein Chef sammle Reben aus alten Gärten, von Hauswänden oder Balkonen und schicke sie nach Frankreich zur Analyse. Er kultiviert die alten Sorten in Georgien wieder neu. Von ihm hören wir auch die Anekdote, die wir nicht überprüft haben: Die Soldaten Georgiens tragen angeblich eine Weinrebe am Revers, damit sich der georgische Wein – da wo sie fallen – in die Erde pflanzt.
Einen der verwunschenen Orte mit altem Kloster und Weinkeller entdecken wir eher zufällig. Wir folgen an diesem Abend intuitiv der Beschilderung zu einer Kirche ohne zu ahnen, dass die 8 Kilometer Piste eine Herkulesaufgabe sein werden. Hier geht es teilweise durch Flussbett, über Geröll und unter Bäumen hindurch die viel zu niedrig sind für unseren Aufbau, so dass wir die Säge ansetzen müssen. Wir fahren an Böschungen entlang und durch verlassene Felder. Irgendwann, als wir schon gar nicht mehr mit dem Ziel rechnen, tut sich eine Lichtung auf und hier – mitten im Wald – steht ein ganzer Kirchenkomplex. Manches ist notdürftig renoviert, anderes dem Verfall preisgegeben. Aber ganz offensichtlich ist auch hier die Gemeinde noch lebendig, denn die Opfergaben und Kerzen zeugen davon, dass erst kürzlich jemand da gewesen ist. Der „Besuch“ lässt auch gar nicht lange auf sich warten. Ein Waldarbeiter kommt am frühen Morgen den Berg hinauf zur Arbeit. Als er uns entdeckt möchte er gleich Brüderschaft trinken, mit Wein natürlich! Wir lehnen dankend ab. Peter lässt sich aber zu einem kleinen Spaziergang überreden, den er später mit mir wiederholt. Es geht den Hang bis zum Gipfel hinauf, teils über ein Seil gesichert. Ganz im Verborgenen hier oben steht eine Kapelle von der aus wir einem traumhaften Blick über die endlose Weite der kachetischen Ebene haben. Was für ein Geschenk!
Tiflis – Tbilisi – Die Hauptstadt der Gegensätze
In Tbilisi machen sie keine Geschenke, so viel ist sicher! Die Menschen hier haben Arbeitszeiten, da würde sich jeder Gewerkschaftler bei uns die Haare ausreißen. Auf der Baustelle neben unserer Unterkunft arbeiten sie die ganze Nacht hindurch. Der Bäcker um die Ecke backt morgens um 8 Uhr genauso zuverlässig sein Brot wie abends um 10 Uhr. Ein Spektakel übrigens, das man gesehen haben muss, denn der Holzofen (der eher aussieht wie ein Waschzuber) ist das Herzstück der Bäckerei und wir können zusehen, wie die Brote kunstvoll darin geschichtet werden. Sonntage scheinen sie hier auch nicht zu kennen.
Wir sind in einem Hostel untergekommen, dem Tbilisi Yard. Der einzigen Adresse die „Autowanderer“ aufnimmt. Das Viertel ist gewöhnungsbedürftig, aus den Containern stinkt es nach Müll, im Park tummeln sich seltsame Gestalten, Smog liegt in der Luft. Aber wir sind hier unter Gleichgesinnten und ja auch nicht nur zu unserem Vergnügen hier. Wir haben wichtiges zu erledigen, z.B. die Beantragung des Iran-Visums. In Tblisi ist die Botschaft auf der wir das Visum in Empfang zu nehmen gedenken. Aber wir haben die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Unser Online-Antrag wird nach 10 Tagen kurzerhand abgelehnt. Wir hören von einer ganzen Reihe an Reisenden denen es ähnlich ergeht. Das Gerücht einer Quote macht die Runde, jeder vierte Antrag soll derzeit negativ beschieden werden. Aber es gibt auch Hoffnung. In meiner Ablehnungs-Begründung wird mir ans Herz gelegt eine Reiseagentur zu kontaktieren und es über diese noch einmal zu versuchen. Die Berliner die auch hier sind haben das gerade durchexerziert und damit Erfolg gehabt. Also auf ein Neues. Wer auf Bilder und Berichte aus dem Iran hofft, drückt uns also jetzt besser die Daumen ;o)
Wir überbrücken die Wartezeit – wenn wir nicht gerade auf der Post sind – indem wir uns die vielen Gesichter von Tbilisi genauer anschauen: das Altstadtviertel, die Meile mit den üblichen Modelabels, oder die Parkanlage mit Gebäuden in futuristischer Architektur, aber offenbar ohne jede Funktion. Hier stehen Wolkenkratzer-Hotels im modernen Stil neben antiken Bauten in die es hineinregnet. Ihre filigran gearbeiteten Balkone haben keinen Boden mehr. Dem Restaurator blutet das Herz über so wenig Sinn (oder Geld) für den Erhalt historischer Bauwerke. Glücklich hingegen ist Peter, wenn wir durch den Basar streifen. Hier gibt es einfach alles, von der Unterhose bis zur Kneifzange. Er kommt bei all dem frischen Gemüse, Obst, Milchprodukten, Fleisch, Fisch und vor allem den Bündeln an Kräutern so richtig in Fahrt. Ich werde fürstlich bekocht. So lässt es sich hier sicher noch eine ganze Weile aushalten. Wir sind wild entschlossen Tbilisi nicht ohne Iran-Visum zu verlassen!
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