Nach endlosen Serpentinen bergauf und bergab – über mehrere Gebirgszüge – bei strömenden Regen, erreichen wir unerwartet die kroatische Küste. Von hier oben haben wir einen gigantischen Blick über das Meer und die schroffen Kalksteinberge die sich bis fast ans Ufer ziehen. Dazwischen Mittelmeervegetation mit Sträuchern und bunten Blumen. Und: Sonne!
Der Landy rollt an den grün-weiß gesprenkelten Hängen entlang und mir kommt das alles irgendwie vertraut vor. Ich war zwar vor 30 Jahren und damit vor dem Bruderkrieg schon einmal hier, als das Land noch Jugoslawien hieß und sehr viel größer war, aber das ist es nicht. Eine Melodie aus Kindertagen schleicht sich aus dem Unterbewussten an. Aber bevor sich die Töne zu einem Namen verdichten können, verrät die Beschilderung die Szene, als Drehort der Winnetou Filme.
Das erste Camp auf grüner Wiese, direkt am Wasser unter schattenspendenden Bäumen. Gegenüber liegt die Insel Krk. Der Sage nach hatte Gott nach 7 Tagen Erderschaffung noch so viel Naturschönheit übrig, dass er sie kurzerhand hier vor der Küste ins Mittelmeer warf. So gehören heute über 1100 Inseln zu Kroatien.
Zeit Bruno seines Winterfells zu berauben. Peter arbeitet beharrlich und Bruno kooperiert geduldig über eine Stunde lang. Dann ist er wie aufgezogen, rennt am Strand entlang, wirft sich selbst Stöckchen und fühlt das salzige Wasser auf seinen kurz geschorenen Locken.
Ein Kroate kommt vorbei und verkauft Eigenproduktionen: Käse, Olivenöl und Schnaps. Wir shoppen ohne uns aus dem Campingstuhl zu bewegen. Der Sonnenuntergang ist filmreif. Unser Aufbruch einige Tage später ebenfalls. Peter fährt rückwärts und nimmt die Unebenheiten im Boden so gekonnt, dass sich der Aufbau bedrohlich zur Seite neigt. Unseren Nachbarn bleibt vor Schreck der Ton im Hals stecken, aber ihre Mienen verraten, dass sie uns schon im Gras haben liegen sehen.
Stop im Supermarkt. Verwöhnt von der Freundlichkeit der Slowenen sind wir einigermaßen irritiert über die Lässigkeit, mit der wir hier als Kunden völlig ignoriert werden. Zuerst halten wir es für einen unschönen Einzelfall, aber mit der Zeit verstehen wir, dass das hier üblich ist. Wer im Einzelhandel arbeitet unterhält sich bevorzugt mit Kollegen, steht herum oder tippt auf seinem Mobiltelefon. Die lästige Kundschaft wird nebenbei bedient, ohne sie eines Blickes zu würdigen. Der Kontrast zu den dienstleistungsorientierten, freundlichen Angestellten der Tourismusbranche könnte nicht größer sein.
Wir setzen über auf die Insel Pag. Ich reibe mir verwundert die Augen, denn der Teil der Insel, der dem Festland zugewandt ist, besteht nur aus Sand und Steinen. Für einen Moment denke ich wir sind schon in der Wüste angekommen.
Umso erstaunter sind wir, als wir zur gegenüberliegenden Seite der Insel gelangen. Sie wird landwirtschaftlich voll genutzt. Hier stehen Olivenbäume und Weinreben, dazwischen grasen Schafe. Die einzelnen Parzellen sind durch Mauern aus Stein getrennt. Wahrscheinlich haben die Bauern diese aus der Erde geklaubt, um das Land urbar zu machen. Ein hartes Leben, das man sich als Urlauber romantisch verklären kann. Für das gute Gewissen kaufen wir lokale Produkte. Der Schafskäse ist kräftig und sehr lecker.
In den Cetina Canyon fahren wir einer spontanen Eingebung folgend. Das tiefgrüne Wasser meandert hier, mal stiller mal wilder, zwischen steilen Felswänden. Rafting-Land. Wir übernachten am Restaurant der Familie Konzac. Die geschäftstüchtige Mutter der Kompanie möchte uns am liebsten mit allem abfüllen, was die heimische Produktion hergibt. Kirschlikör, Weine und Schnäpse. Wir passen. Kochen kann die Frau! Peter kommt mit ihr ins Gespräch. Die zwei inzwischen erwachsenen Söhne mit dem Geschäft durchzubringen ist schwer sagt sie, seit die Italiener gar nicht mehr kommen und auch bei den Deutschen das Geld nicht mehr so locker sitzt. Das Dorf hat sich verändert. Früher hatte hier jeder Vieh. Heute gibt es gerade mal noch eine Kuh. Die Jungen wandern aus oder ziehen in die Städte, wo es kaum etwas zu verdienen gibt. Ihre Tochter ist Lehrerin, die für ein Gehalt von umgerechnet 600 Euro im Monat arbeitet. In Kroatien haben sie noch ihre eigene Währung, den Kuna. In drei Jahren soll allerdings der Euro eingeführt werden. Die Leute befürchten, dass danach alles noch teurer wird.
Wir sehen viele Bauruinen, meist Gebäude die begonnen und nie fertiggestellt wurden. Die Rohbauten recken anklagend ihre Eisen gen Himmel.
Auch bei Ploce, der Gemüsekammer Kroatiens, ist die Veränderung sichtbar. Hier ist flaches Land, ein Feld reiht sich an das nächste. Die einzelnen Parzellen sind durch Kanäle getrennt. Die Bauern erreichen ihre Felder nur mit Booten. Idyllisch, aber das täuscht. Peter war vor Jahren schon einmal hier, da gab es an den kleinen Gemüseständen an der Straße alles zu kaufen, wonach das Herz sich sehnte. Heute liegen viele dieser Felder brach oder die Gemüsesorten wurden durch Obst bzw. Olivenbäume ersetzt. Entsprechend eintönig ist das Angebot. Es verwundert wenig, dass angesichts der stetig steigenden Touristenzahlen die Jungen lieber an der Küste ihr Glück suchen, als hier im Inland der harten Feldarbeit nachzugehen. Mich macht das nachdenklich. Da geht auch enzyklopädisches Wissen verloren.
Wenn Länder neu definiert werden, entstehen bisweilen bizarre Grenzverläufe. Wir wollen zu den Inseln Peljesac und Korcula im südlichen Kroatien. Um dort hin zu gelangen, müssen wir einen schmalen Küstenstreifen passieren, der zu Bosnien-Herzegowina gehört, mit vollem Programm: Ausreise Kroatien, Einreise Bosnien, Ausreise Bosnien, Wiedereinreise Kroatien und das innerhalb von 10 Minuten. Damit hat Bosnien-Herzegowina wahrscheinlich das zweifelhafte Vergnügen des kürzesten Landesbesuchs der Autowanderer-Tour.
Die schwarzen Plastiktonnen zeichnen symmetrische Muster auf die Meeresoberfläche. Ich denke, hier liegen im Sommer bestimmt Boote, aber weit gefehlt! Jede Boje markiert das Ende eines Seils an dem Austern gezüchtet werden. Das Seil endet zwei Meter oberhalb des Meeresbodens. Die Austern werden durch Taucher geerntet. Kreisrund sind sie, haben einen hellbraunen bis dunkelbraunen Saum und schmecken nach salzigem Meer und zarten Nüssen. Eine schöne Begrüßung auf Peljesac.
Das erste woran sich das Auge auf Peljesac festhält ist eine Mauer. Sie führt durch einen Wald, den steilen Hang hinauf. Sieht aus wie ich mir die chinesische Mauer vorstelle. Es handelt sich tatsächlich um eine Wehrmauer, vor Jahrhunderten errichtet, um die Orte Mali Ston und Ston vor bösen Übergriffen von Außen zu schützen. Ein massives Bauwerk, das man in seiner Gänze aus praktisch keinem Winkel voll ermessen kann. Was hier geleistet wurde erschließt sich dem Besucher dennoch, denn die Mauer kann zumindest in Teilen begangen oder besser bestiegen werden. Die einzelnen Stufen sind hoch und die Mauer ist mehrere Kilometer lang. An ihrem höchsten Punkt haben wir wunderschöne Ausblicke in das Umland.
An diesem Abend finden wir ein Camp in einer kleinen Bucht mit türkisblauem Wasser. Beim Spaziergang entlang der Küste hängt jeder von uns Dreien seinen Gedanken nach, vom Paradies nicht weit entfernt.
Eva reichte Adam einst einen Apfel, mir überreicht die Fügung ein paar Blasenkeime. Zwangspause, aber hier lässt es sich aushalten. So gut, dass Bruno bei Wiederaufbruch zu neuen Zielen alle Viere von sich treckt, missmutig guckt und dabei versucht mit dem Gras um ihn herum völlig zu verschmelzen. Reisekoller! Aber diesmal geht es ja nicht weit. Nur ein kurzer Hops mit der Fähre nach Korcula. Müsste ich einen Ort benennen, der mich in Kroatien besonders fasziniert hat, dann wäre es diese Insel. Sie hat eine grüne Lunge aus Nadelwäldern. Dazwischen Weinreben und drum herum die schönsten Buchten mit winzigen, teilweise noch sehr ursprünglichen Häfen. Einziger Wehmutstropfen ist der Müll. Sicher wird hier so manches angespült, was die Kroaten nicht selbst ins Meer geworfen haben, aber es dort einfach dümpeln zu lassen ist sicher auf Dauer keine Lösung. Erst recht nicht, wenn auf Tourismus gesetzt wird, was an der regen Bautätigkeit entlang der Küstenlinie deutlich abzulesen ist. Es ist zu befürchten, dass hier gerade eines der letzten Kleinode zugepflastert wird.
Der Hafen von Lumbada hat es uns besonders angetan. Hier herrscht in der Vorsaison träges Treiben. Fischer restaurieren ihre Boote, Ladenbesitzer ihre Theke. Durch das Camp am Ort trotten die Hühner. Wir stellen den Landy einfach am Hafengelände ab. Peter lädt mich zum Fischessen ein. Über ein Kilo Sankt Peter, serviert auf einem Bett aus Kartoffeln mit Gemüse. Dazu Wein aus eigener Erzeugung. Wir sind wirklich auf Genussreise. Am Abend ist Konzert der Spielmannszüge aus Peljesac und Korcula. Peter hatte auf ordentlichen Balkan-Pop gehofft. Am Ende ist es die alt bekannte Mischung aus Humptata und Beatles, aber mit Inbrunst vorgetragen. Mich freut besonders zu sehen, wie sich die jungen Leute mit dieser Art Veranstaltung identifizieren. Sie tragen eigens für diesen Tag angefertigte T-Shirts und feuern ihre Musiker lautstark an. Das Gesetz ist offenbar an diesem Tag außer Kraft gesetzt. Auf dem Meer drehen die Bootsmotoren auf und an Land die Motorräder. Alle fahren kreuz und quer durcheinander. Der kleine Supermarkt öffnet außerplanmäßig seine Tore und verkauft Bier und Zigaretten an die Partygemeinde. So geht feiern auf insulanisch.
Der Land Rover steuert auf Dubrovnik zu und ich bin froh, dass wir entschieden haben die Stadt so in Erinnerung zu behalten, wie wir sie – jeder für sich – vor Jahrzehnten entdeckt haben. In der gigantischen Hafenanlage steht ein Kreuzfahrtschiff, das seine zigtausend Urlaubsreisenden gerade in die dagegen winzig anmutende Altstadt entleert hat. Ein Blick zurück, ein Foto und dann nach vorne schauen in Richtung Montenegro.
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