Erleichtert

Peter verschwindet halb in der Kiste mit unseren Küchenutensilien und gibt zu Protokoll: „Wir sind viel zu schwer!“ Daraufhin verlässt uns Pfanne Nummer 3 und Thermoskanne Nummer 2. Dass seine Äußerung auch prophetischen Charakter hat, verstehen wir erst einige Tage später.

Wir sind an der italienischen Riviera. Der Unterschied zur französischen Seite ist offensichtlich. Die Straßen sind viel schlechter, der Kaffee ist viel besser. In einem Ort den Mussolini „Imperia“ taufte sind wir im Camp Eukalyptus untergekommen. Ein Garten Eden in dem der Landy sich zwischen Blumenmeeren, Bäumen, Kakteen und Gemüsebeeten ausruhen kann. Der Besitzer pflanzt gerade Erdbeeren. Peter kauft beim Fischhändler ein und alles landet auf dem Grill. Abendessen im Paradies, herrlich!

Das erste Frühstück des Landes, das ist jetzt Ritual, gibt´s in der ortsansässigen Bar. Kaum einer dieser Läden in Italien kommt ohne Spielautomaten und Lotto aus. Hier verspielen die Alten ihre Rente und die Jungen ihren Lohn, in der Hoffnung auf bessere Tage.

Die Stadt ist ein historisches Kleinod auf einen Hügel erbaut. Es gibt mittelalterliche Läden die noch in Betrieb sind. Die Kirche hat einen von außen begehbaren Beichtstuhl mit Klingel. Wir verzichten. Der Eisverkäufer ist ein Schlitzohr. Zwei Kugeln kosten 2,50 Euro. Peter und ich nehmen jeweils nur eine und bezahlen trotzdem 5 Euro. Zwei Geschmacksrichtungen sind wohl das Minimum.

Die nehmen wir!

Dann kommen wir in das Örtchen Lavagna. Unscheinbar zunächst, entpuppt sich der Aussichtspunkt über dem Camp als atemberaubend. Wir kommen gerade noch rechtzeitig zum Sonnenuntergang auf dem Gipfel an. Das Gold der Sonne verwandelt das Meer unter uns in Honig und durchflutet die steinernen Reste einer Ruine, die lange Schatten wirft. Wir sitzen sehr lange schweigend auf einer Parkbank, Tränen im Augenwinkel. Das sind die Glücksmomente für die wir unterwegs sind.

Ruine der Kirche St. Anna

Goldene italienische Riviera

Es wird Zeit uns vom Meer zu verabschieden. Wir müssen die Po-Ebene queren, denn wir wollen ja in Richtung Osten! Der erste Pass über 1000 Höhenmeter ist verschneit. Dort hat sich jemand ein Haus gebaut, das geformt ist wie ein Schiff. Wir witzeln darüber, wie sich das Bauamt bei uns im Schwarzwald wohl anstellen würde, käme der Architekt mit solchen Bauplänen.

Dieses Schiff ist ein Wohnhaus und es liegt auf einem 1000 Meter hohen Pass.

Die erste Polizeikontrolle! An einer Straße, auf der vielleicht alle Stunde mal ein Fahrzeug vorbeikommt. Den Jungs ist mit Sicherheit langweilig. Wir dürfen passieren. Um Parma herum ist Stress, denn die Verkehrsführung wurde geändert und wir haben das Gefühl ewig im Kreis geleitet zu werden. Wir übernachten an einem uncharismatischen Caravan-Stellplatz in Guastalla. Im Ort ist Geld. Das schließen wir aus den sündhaft teuren Auslagen in den Läden. Aber außen hui und innen pfui, die Toilettenanlagen sind kaum zu betreten. Irgendwie sinnbildlich für den Zustand des Landes.

Dann erreichen wir Venezien. In Cittadella übernachten wir zwischen Burggraben und Stadtmauer. Der Ort ist faszinierend. Die Innenstadt ist von einer Stadtmauer umgeben und durch Tore in allen Himmelsrichtungen befahrbar. Auf der Stadtmauer machen wir einen Rundgang und schauen dabei den Einwohnern in die Hinterhöfe und Gärten.

Auf der Stadtmauer von Cittadella können wir einmal den Ort umrunden und den Menschen in ihre Gärten schauen.

Rabarama breitet ihre schützenden Arme aus.

Zum Abendessen serviert mein persönlicher Küchenchef Pietro Wildspargel mit einem örtlichen Weichkäse der Stracchino heißt und echter Pesto Genovese. Dazu Fenchel-Orangen Salat. Das ganze in historischem Ambiente. Für ihre reichhaltige Küche verehre ich die Italiener.

Auf dem Weg nach Vittorio machen wir an einem Supermarkt halt, oder besser, versuchen es. Peter zieht nämlich den Zündschlüssel ab und – MAGIE! – der Land Rover brummelt einfach weiter. ER entscheidet ab jetzt, wann Schluss ist.

Die Beschriftung ist irreführend. Aus den Hähnen läuft in Italien der Wein.

Die mittelalterliche Stadt Vittorio beeindruckt uns sehr. Rechts und links der Straße Arkaden, sehr alte Gebäude mit Türen, die meinen Restaurator begeistern, alles noch bewohnt. Schmale Straßen. Eine Bar mit klassischem Exterieur aber innen modern mit einer Stahl-Holz-Kombination renoviert. Die Chefin ist von Bruno sehr angetan. Wir von ihrer Weinkarte. Aber wir bestellen zur Abwechslung Prosecco, da wir im Herzen des Prosecco-Anbaus angekommen sind. Kein Vergleich zu dem was man bei uns unter der Bezeichnung bekommt. Wir übernachten mitten im historischen Stadtzentrum am Straßenrand. Guter Stellplatz, nur ein bisschen zu ambitioniert an die Arkaden herangefahren. Beim Ausparken schmiegt sich der Landy an das Regenrohr. Die erste Schramme der Reise ist hiermit abgehakt.

Vittorio ein Ort wie eine Filmkulisse.

Die Bar am Ort – Ein Kunstwerk aus Holz und Stahl

Jetzt ist es höchste Zeit für das landschaftliche Highlight der Italien-Reise, den Tagliamento-Fluss. Wir haben zwar wenig Hoffnung was das Wetter betrifft, denn wir fahren seit Tagen nur durch Regen, aber ALDI richtet es. Wie das? Rein in den Supermarkt – natürlich nur aus Neugier wie das italienische Sortiment aussieht – Sonnenbrille kaufen, wieder raus. Sonnenschein!!!

Das breite Flussbett des Tagliamento.

Was uns hier erwartet ist mit Worten schwer zu beschreiben: Ein gigantisches Flussbett, voll mit weißen Kieselsteinen aller Größen. Der Fluss meandert darin mal breiter mal schmäler in einem glasklaren türkisgrün nach Lust und Laune. Hier wird in die Natur nicht eingegriffen. In der Nähe des Örtchens Dignano folgt Peter seiner Intuition und findet eine Zufahrt zum Fluss. Hier stehen wir bequem am Rande des Kiesbetts und laufen nach Herzenslust durch das Flussbett. An der schieren Endlosigkeit aus Kiesel, Sand und Wasser in wechselnden Pastelltönen können wir uns gar nicht satt sehen. Wir werden hier mehrere Tage bleiben, lange Spaziergänge machen, abends grillen und Lagerfeuer entfachen, in freier Wildbahn duschen, Flusswasser für den Wassertank filtern und einfach nur in der Sonne sitzen.

Der Fluss hat viel Bewegungsfreiheit und erzeugt zahlreiche Inseln.

Dramatische Lichtstimmung am Abend.

Bruno´s kontemplative Momente.

Am letzten Morgen schleichen junge Leute in Tarnkleidung durch das Flussbett. Wir kommen mit Nico ins Gespräch. Die Gruppe übt beim ortsansässigen Trainer für ihre Abschlussprüfung. Sie haben 18 Monate Survival-Training hinter sich. Nico hat bei -4°C ohne Schlafsack draußen übernachtet, kann Feuer machen ohne Hilfsmittel und ernährt sich von dem was er findet. In Deutschland bietet er solche Trainings selbst an. Er sagt es sei erstaunlich zu beobachten, was seine Übungen mit Menschen macht, die zuvor Existenzängste hatten. Wenn sie gelernt haben in der Natur zurecht zu kommen, gibt ihnen das ein Stück Souveränität zurück.

Ich steige ganz souverän in unseren Land Rover mit Standheizung und freue mich auf die Weiterfahrt.

Die Landschaft wird jetzt hügeliger. Wandergebiet. Ein Forellenteich. Dann wieder breites Flussbett. Wir finden einen Einstieg der auch von Fahrzeugen des angrenzenden Kieswerks genutzt wird. Auf halbem Weg stellen wir den Landy neben einem Waldstück ab und lassen Bruno aussteigen. Der will sofort ins Gebüsch und fängt sich dafür eine Rüge ein. Wir durchstreifen in gewohnter Weise das Flussbett zu Fuß und fragen uns, ob das ein guter Platz zum übernachten wäre. Wir werden aber beide nicht warm mit der Stelle und beschließen kehrt zu machen und weiter zu fahren. Ich lupfe Bruno in den Landy und wundere mich, warum es hier drinnen nach Zigarettenrauch riecht. Warum liegt eigentlich meine Sonnenkappe mitten auf dem Fussboden? Zur gleichen Zeit fragt Peter „war jemand hier drin?“ Es ist erstaunlich wie ewig der Moment dauert, bis die Ungläubigkeit der Gewissheit weicht. Wir sind ausgeraubt worden! Die erste hektische Bestandsaufnahme ist niederschmetternd. Die Verlustliste ist lang und sehr kurios. Meine feuchten Klopapiertücher sind weg, aber das IPad das genau daneben im Halter hängt ist noch da. Mein Kulturbeutel ist geklaut, aber die Nachtsichtkamera in Peters Schrank ist noch da. Mein Musikinstrument ist geklaut, aber die Rucksäcke mit Trecking-Equipment sind unangetastet. Fotoapparat weg, Videokamera geklaut, Festplatten, IPhone, externer Lautsprecher, WLAN Router, Fernglas, adieu! Auch Papiere sind abhanden gekommen, darunter das Carnet de Passage, das wir für die Einreise in den Iran und Oman benötigen. Wir sind jetzt deutlich leichter unterwegs…

Das Bild der Verwüstung

Erst einmal nachdenken, soweit das in unserem Zustand möglich ist: Zur Polizei und Anzeige erstatten. Schade, dass die Video-Kamera weg ist, die Szene hätte euch gefallen. Ich spreche kein Italienisch, der Carabinieri kein Deutsch und auch sonst nichts was ich kann. Also gebe ich ein Protokoll auf mit Hilfe der App ITranslate. Das Programm ist – sagen wir – ausbaufähig. Frage: „Welchen Beruf haben Sie?“ Antwort: „51“. Verständnislose Blicke auf beiden Seiten. Das Ganze ist eine Farce. Wir fragen ob sie den Tatort besichtigen wollen oder vielleicht Fingerabdrücke am Auto nehmen. Wir werden angeguckt als hätten wir die Pest. Arbeit? Hier gibt´s nur Papier. Nach 90 Minuten ist die Tortur vorüber. Ich unterschreibe jede Menge Papier und bekomme ein Original ausgehändigt. Ein Blick auf die erste Seite genügt mir um festzustellen, dass das sinnlos war. Sie haben nicht einmal unsere Namen richtig geschrieben.

Wir fahren zurück zum Tatort weil wir die Hoffnung haben, dass die Diebe inzwischen aussortiert haben was sie brauchen können. Vielleicht bekommen wir wenigstens unsere Papiere zurück. Aber nachdem Peter eine ganze Weile den Wald und Trampelpfade durchkämmt hat geben wir auf. Zwei Spaziergängerinnen kommen uns entgegen. Wir wollen sie ansprechen, herausfinden, ob sie vielleicht etwas gesehen haben. Es stellt sich heraus, dass beide aus Deutschland stammen und eine von ihnen hier lebt. Sie ist entsetzt über das was wir berichten. Sie hat hier bisher noch nicht einmal ihren Wagen abgeschlossen, wenn sie spazieren ging. Eine Schriftstellerin mit großem Herzen. Wir werden zu ihr nach Hause eingeladen. Im Innenhof ihres zu Hause können wir uns erst einmal sortieren, Bestandsaufnahme machen und das Adrenalin ausgasen lassen. Sie kocht sogar für uns ein Abendessen. Ihre Unterstützung ist von unschätzbarem Wert, wenn wir das auch in unserer Verfassung nicht richtig zum Ausdruck bringen können. Derweil setzt ihr italienischer Bekannter alle Hebel in Bewegung. Er telefoniert mit der Zeitung, damit sie einen Bericht bringen über das was uns passiert ist. Vielleicht hat ja doch jemand etwas gesehen. Außerdem spricht er mit einem befreundeten Polizisten der den Vorfall auf seiner Facebook-Page postet. Wenn jemand im Internet unser Zeug versteigert, fällt es vielleicht auf. Wir sind gerührt von der Anteilnahme.

Für Peter ist es in Italien bereits das dritte Mal, dass er bestohlen wird. Für mich ist es auf einer Langzeitreise auch nichts Neues. Trotzdem macht es etwas mit uns. Wir sind jetzt irgendwie verletzt, haben unsere Unbekümmertheit verloren, fragen uns ob wir den Landy verbarrikadieren müssen. Es wird noch eine Weile dauern, bis wir das alles verarbeitet haben. Wir kommen aber schon am nächsten Tag zu der Erkenntnis, dass wir uns davon die Reise nicht verderben lassen, tun was zu tun ist und nach vorne schauen werden. Italien hat jetzt keinen Reiz mehr für uns. Es geht über die Grenze nach Slowenien. Peter sitzt am Steuer, ab jetzt wohl die ganze Strecke, denn ich habe keinen Führerschein mehr.

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  1. Ines Krüger says:

    Oh Mist. So schöne Momente und dann das. Ich hoffe, Ihr könnt wenigstens das mit den Papieren klären. Wer klaut denn ein Carnet de passage?
    Nun, neues Land, neues Glück. Gute Erholung in Slovenien.

  2. Patricia says:

    Wunderbare Schilderung liebe Heike! Man lebt richtig mit!!
    Da hat euer Bauchgefühl euch ja nicht betrogen.
    Trotzdem noch ganz viel Freude und viel Glück! Weiterhin so schöne unterstützende Begegnungen 🙂

  3. Lilli says:

    Ach Mensch und das am Anfang der Reise. Kein schönes Gefühl. Wie macht ihr das mit dem Carnet?
    Wünsche Euch alles Gute und dass es hoffentlich die letzte schlechte Erfahrung war.

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