Nach 8 Wochen Georgien und nunmehr zwölf Tagen Tbilisi wird es Zeit zu diesem Land und seinen Menschen „Auf Wiedersehen“ zu sagen. Der Abschied fällt uns nicht leicht, denn Georgien ist uns ans Herz gewachsen. Aber wie immer wenn wir eine Grenze passieren: Dort wo sich eine Tür schließt, öffnet sich eine andere.
Wir machen noch Abschiedsfotos mit den Turkmenen, die hier im Hostel Tbilisi Yard schon weit länger ausharren, um auf ihr Russland-Visum zu warten. Trotz Sprachbarriere haben wir über die letzten Tage einen kleinen Club gebildet der sich nun auflöst. Wir sind heiß auf den Iran und sie wollen endlich zurück, weiter studieren.
An der Grenze folgen wir dem inzwischen üblichen Prozedere. Peter fährt mit Bruno durch die Fahrzeug-Passkontrolle, ich gehe durch die Passkontrolle für das Fußvolk. Auf der armenischen Seite wird Peter von einem hageren Mann in übergroßem Uniformhelm – der sein Gesicht noch schmaler erscheinen lässt – angewiesen, den Wagen aufzuschließen und ihn hineinschauen zu lassen. Als er das Wageninnere inspiziert fragt er beiläufig: „Wie geht das?“ Peter stutzt über die Deutschkenntnisse und fragt „Wie bitte?“ Der Beamte wiederholt „Wie geht das?“ Peter schon leicht verzweifelt ob der unverständlichen Frage hakt nochmal nach, worauf der Grenzbeamte genervt fragt: „Sind Sie nicht Deutsch?“ Jetzt fällt bei Peter der Groschen. „Gut geht es, sehr gut!“ Der Beamte dreht sich wortlos um und geht. Willkommen in Armenien!
Peter folgt an diesem Abend einmal mehr seinem Bauchgefühl und jagt kurz hinter der Grenze den Land Rover über eine serpentinenreiche Geröllpiste den Berg hinauf. Unterwegs begegnen uns junge Männer die ihre Rinder an den Hörnern nach Hause treiben und dabei noch Brennholz für den Abend hinter sich herziehen. Als wir die Anhöhe erreichen, trauen wir unseren Augen nicht. Ein Hochplateau aus endlosen, saftig grünen Wiesen, ein Rastplätzchen mit Sitzgelegenheit und Grillstelle und weit und breit keine Menschenseele. Nach dem Gestank und der Lautstärke der Großstadt fühlt sich das für uns so an, als hätte jemand den Pausenknopf gedrückt. Wir schlafen in dieser Nacht wie die Götter.
Ich muss zugeben, dass ich über Armenien nicht sehr viel weiß. Vom Kaukasus durchzogen, liegen 90 % der Landesfläche oberhalb von 1000 Metern. Das ganze Land ist etwa so groß wie Belgien. Im Norden hat es gemeinsame Grenzen mit Georgien und der Türkei, im Süden mit dem Iran und zu beiden Seiten mit Aserbaidschan. Die Armenier sind Christen. Ihre Klöster sind meisterhafte Bauwerke mit reichhaltigen Verzierungen aus Stein, von denen wir uns im Norden gleich zwei anschauen: Haghpat und Sanahin.
Die Kirchenräume sind hoch und dunkel und stehen in ganzen Komplexen sehr eng beieinander. Die Akustik ist spektakulär. In der Basilika von Haghpat – in der wir glücklicherweise ganz alleine sind – kann ich gar nicht anders als zu singen. In Sanahin haben wir das Glück einer Reisegruppe zu begegnen die einen Musiker unter sich weiß. Er spielt sehr bewegend auf einer Flöte.
Hier eine kleine akustische Kostprobe:
Als wir danach in ein kleines Café einkehren spricht uns die Besitzerin auf makellosem Französisch an. Sie erklärt uns auch ein wenig über die sehr bewegte politische Geschichte Armeniens. Was ich davon mitnehme ist, dass mit drei Millionen Einwohnern nur etwa ein Fünftel aller Armenier innerhalb der Landesgrenze wohnen, alle anderen sind in die Diaspora verstreut, von Persien bis nach Amerika. Die politische Lage vor allem zum Nachbarland Aserbaidschan ist bis heute angespannt, wegen der Frage um die Region Bergkarabach.
Hier geht´s zur ausführlichen Bildergalerie über das Innenleben der armenischen Kirchen.
Auf der weiteren Fahrt in Richtung Süden passieren wir den imposanten Debed Canyon auf einer sagenhaft schlechten Straße. So wie alles was mit Infrastruktur zu tun hat hier in bedauernswertem Zustand ist. Wir sehen Industrieanlagen noch aus dem letzten Jahrtausend, mit eingefallenen Dächern und zerschlagenen Scheiben, die offenbar aber noch in Betrieb sind. Denn die Arbeitersiedlungen gleich nebenan sind bewohnt und geben einen bedauernswerten Anblick ab. Auch die Fahrzeuge sind mehrheitlich uralt und fahren hauptsächlich mit Gas. Es gibt jedenfalls deutlich mehr Tankstellen für Gas als für Benzin oder Diesel.
Die Fahrweise der Armenier unterscheidet sich nicht deutlich von der ihrer georgischen Nachbarn, was Peter dazu veranlasst sich anzupassen. Er überholt bei durchgezogener Linie direkt in der Kurve. Blöd nur, dass das entgegenkommende Fahrzeug ein Polizeiwagen ist. Der hupt, blinkt auf und dreht, um uns zu folgen. Wir fahren artig an den Fahrbahnrand und sind gespannt welche Buße uns erwartet. Der Polizist macht eine sehr ernste Miene und fragt uns dann, ob wir russisch sprechen. Als wir wahlweise englisch, deutsch, französisch oder italienisch anbieten lässt er sich noch die Papiere zeigen und winkt uns dann weiter. Glück gehabt! In solchen Situationen ist die Sprachbarriere mal ein Vorteil.
Unsere nächste Station ist der Sevan-See, ein Süßwassersee auf 1900 Metern Höhe. Er soll sehr fischreich sein, obwohl sein Wasserspiegel seit den 50er Jahren um 20 Meter gesunken ist. Er wartet mit der doppelten Größe des Bodensees auf und jeder Menge touristischer Infrastruktur mit Spaßcharakter. Kaum haben wir am Restaurant den Parkplatz erreicht, wird die Musik für die Neuankömmlinge auf so ohrenbetäubende Lautstärke aufgedreht, dass wir gleich kehrt machen. Am Lavash Hotel haben wir mehr Glück. Hier bieten sie uns im Gegenzug für ein Abendessen einen Stellplatz direkt am Ufer an. Wir sitzen in einem Restaurant mit 270 Grad-Blick auf das Wasser und essen Seefisch satt, inklusive kitschigem Sonnenuntergang.
Ein landschaftliches Highlight – das auf türkischen Staatsgebiet liegt – aber von Armenien aus gut zu sehen ist, ist der heilige Berg Ararat. Nachdem ich endlich gepeilt habe in welcher Himmelsrichtung ich suchen muss, tut sich der über 5000 Meter hohe Riese mit Doppelspitze auch schon vor uns auf. Die höchste Erhebung ist kegelförmig-schneeglänzend, die kleinere knubbelig kahl. Was die Szene so unwirklich macht ist die Landschaft um den Berg herum. Die armenische Seite ist nahezu wüstenhaft, von Hügeln durchzogen, deren Oberfläche beige und braun von der Sonne verbrannt ist.
Wir halten bei einem Bäcker der das landestypische Lavash verkauft. Das sind von ihren Ausmaßen her riesige, dabei aber hauchdünne und brüchige Brotlaibe. Das Stück kostet umgerechnet etwa 30 Cent (150 Dram). Ein Problem das ich bereits aus Afrika kenne begegnet mir hier wieder, niemand hat Wechselgeld. Als ich nicht passend zahlen kann bedeutet mir die Bäckersfrau ich soll das Brot einfach mitnehmen. Große Scheine will sie partout nicht annehmen.
Es ist vielleicht ein bisschen peinlich, aber unser gesetztes Ziel in Armenien ist keine Sehenswürdigkeit, sondern eine Campinganlage die sich 3G nennt und von der wundervollen Sandra und ihrem Mann – beides Holländer – aufgebaut und betrieben wird. Als sich die Tore öffnen verlassen wir Armenien und betreten Zentraleuropa. Nicht nur die Anlage hat europäischen Standard, mit gefliesten Stellplätzen, warmen Duschen, einem Pool, einer kostenfreien Waschmaschine, Grillstelle im Grünen und Sitzplätzen auf einer Terrasse mit Blick über das ganze Tal. Auch die Klientel die sich hier von der Langzeitreise erholt ist vorwiegend europäisch. Wir treffen Deutsche, Schweizer, Franzosen und – natürlich – Holländer. Diese kommen gleich in Massen in Wohnmobilen. Damit sind Ausflüge in die Umgebung für uns gestrichen, denn jeder Versuch den Stellplatz zu verlassen würde eine Rochade von Fahrzeugen in Bewegung setzen auf die niemand wirklich Lust hat. Also bleiben wir einfach hier und tun das was zum Autowandererleben eben auch dazugehört: Wäsche waschen, Auto putzen, aufräumen, Wasser tanken. Und wir genießen die Annehmlichkeiten die uns diese Unterkunft bietet in vollen Zügen, bei ausgesprochen netter Gesellschaft.
Wir lernen Nico und Valerie kennen, digitale Nomaden, die von hier aus drei Monate gearbeitet haben und jetzt in Richtung Iran unterwegs sind. Auch Marie und Johannes finden sich auf unseren speziellen Wunsch ein. Wir haben noch zwei Flaschen guten georgischen Weines den wir vor dem Grenzübertritt in den Iran vernichten müssen. Wir können uns keine besseren Mitstreiter vorstellen als die Beiden. Wir wollen damit eigentlich auf unsere Iran-Visa anstoßen, aber der Botschaftsbesuch in Yerevan geht für die Beiden leider negativ aus. Das zunächst zugesagte Visum wird nun verweigert. Sie vermuten, dass dies in Zusammenhang steht mit dem jüngsten Anschlag auf die saudischen Ölanlagen. Das Säbelrasseln zwischen den USA und dem Iran geht natürlich auch an uns nicht spurlos vorüber. Wir diskutieren unsere Optionen und halten Rücksprache mit dem Iran-Experten Hartmut Niemann. Danach steht unser Entschluss fest. Wir fahren, halten uns aber zunächst im nördlichen Iran auf, weit weg von den möglichen Krisenherden.
Peter lässt es von nun an richtig rollen. Die traumhaften Landschaften des südlichen Armeniens fliegen nur so an mir vorbei. Ebenso wie der kürzeste Landesaufenthalt der Autowanderer-Tour. Der Grenzverlauf zwischen Armenien und Aserbaidschan ist nämlich sehr kurios. Nicht nur, dass Armenien wie der Fleischpaddy eines Burgers zwischen zwei Teilen Aserbaidschans eingeklemmt ist, es gibt dazu noch einige aserbaidschanische Enklave in Armenien, die man – wenn man nicht gerade mit elektronischer Navigation unterwegs ist – glatt verpasst. So befinden wir uns für genau 8 Minuten auf dem Staatsgebiet von Aserbaidschan, Land Nummer zwölf auf der Autowanderer-Liste.
Die Mittagspause verbringen wir in einem Restaurant das einmal ein Kino war. Die Anlage wurde nur minimal umgestaltet und überall mit Plüschtieren „verschönert“. Sprachbarrieren kennen sie hier nicht. Peter folgt dem Koch kurzerhand in das Kühlhaus und entscheidet sich dann für das „Mäh!“. Das Schaschlik ist sehr köstlich.
Die letzten 200 Kilometer bis zur Grenze sind noch einmal eine Herausforderung, denn wir müssen heute noch 160 Serpentinen (die hat wohl wirklich mal jemand gezählt!) bis zum Grenzort Meghri überwinden. Totenkopfschilder rechts und links der Fahrbahn erinnern uns daran, dass wir hier direkt auf der Grenze zu Aserbaidschan unterwegs sind. Die Landschaft ist vermint, das nachbarschaftliche Verhältnis der beiden Staaten zueinander wirklich kein gutes. In Meghri liefern wir bei Benno und seiner Frau – Schweizer, die mit Fahrrad Richtung Indien unterwegs sind – noch ein Ritzel ab. Das hat einen Staffellauf von der Post in Yerevan über den Caddy von Johannes und Marie und unseren Land Rover bis zur Landesgrenze hinter sich. Jetzt kann es eingebaut werden. Wir wünschen den Beiden immer genug Luft in den Reifen!
Eines ist sicher, wir werden Armenien mit seinen positiven Menschen und seiner majestätischen Berglandschaft auf dieser Autowanderer-Tour nicht gerecht. Mit nur 10 Tagen haben wir es eher im Transit erlebt. Aber die Zeit reicht, um uns an den Haken zu bekommen. Wir sind ganz sicher nicht zum letzten Mal hier.
Und wer jetzt noch Lust auf weitere Bilder hat, die Armenien weit besser einfangen als es meine Beschreibungen könnten, der findet hier die Bildergalerie.